Hallo, mein Name ist Oliver und ich war mal ein relativ guter Yu-Gi-Oh! Spieler. [1]


Wenn ihr den vorherigen Satz halbwegs aufmerksam lest, so werdet ihr bemerken, dass die Betonung auf der Vergangenheitsform, also "war mal" liegt. Was gleichzeitig impliziert, dass ich mittlerweile kein guter Yu-Gi-Oh! Spieler mehr bin. [2] Um ganz ehrlich zu sein war mir das längere Zeit überhaupt nicht klar. Monster beschwören, gegnerisches Monster überrennen, Kartenvorteil erwirtschaften, Spiel gewinnen – ist doch alles nicht so schwer?! Wenn man so viel grundsätzliches Wissen über das Spiel hat, so kann man doch gar kein so schlechter Spieler sein – selbst wenn man das Spiel nicht mehr aktiv selbst spielt.

Tatsächlich bin ich aber nicht mehr so gut und werde wohl auch nie mehr so gut werden, wie ich mal war...


Heute entführe ich euch auf eine kleine Reise, die zu dieser Selbsterkenntnis führte. Ich hoffe, ihr könnt die Fahrt genießen!



Phase 1: Überraschung und Nichtwahrhabenwollen


In dieser Phase leugnet die Person zunächst noch den Verlust (des eigenen Skills). Der Schock sitzt tief und entspricht einer Abwehrreaktion des Gehirns, wobei hier häufig die Tatsachen bestritten werden. Mitunter hält die betroffene Person in dieser Phase alles für einen bösen Traum, der vorüber gehen muss. Entsprechend ist die Person häufig gelähmt und hat große Schwierigkeiten damit, Entscheidungen zu treffen.


Ich kann euch nicht 100%ig genau sagen, wann ich realisierte, dass ich kein allzu guter Spieler mehr bin. In jedem Fall fiel es mir wieder in Madrid auf. Dort war mal wieder ZEIT FÜR EIN DUELL und ich merkte während des ein oder anderen Zuges, dass ich überhaupt keinen Plan davon hatte, ob man lieber so schnell wie möglich Formelsynchron heraus bringt, um Karten aufzuziehen, oder ob man darauf warten sollte, einen riesigen Zug zu vollführen, in dem man dann versucht, durch jede Menge Synchrobeschwörungen [3] das Spiel zu gewinnen.


Selbstverständlich war das nicht das erste Mal, dass ich mal ein Spiel verloren habe, in dem ich "an die Wand gespielt wurde". Ich erinnere mich noch an die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft 2004 (!), in der ich von Waldi total wegdominiert wurde. Klar, da waren auch ein paar Topdecks dabei [4], aber am Ende des Spiels konnte ich eben nicht allzu viel machen und wurde wegdominiert.


Damals hatte ich mir gedacht, dass ich das Spiel wohl gewonnen hätte, wenn ich nur mehr der vormaligen "US Onlies" gehabt hätte. Hätte ich ein anständiges Chaos Control gespielt, dann wäre ich wohl mühelos als Sieger aus der Quali hervorgegangen.

Nach dem Spiel in Madrid dachte ich mir, dass ich einfach nur mehr Übung brauchen würde, um auch mal zu wissen, was mein Deck eigentlich machen will. Immerhin konnte ich nicht so schlecht geworden sein; nur war Yu-Gi-Oh! (Spielen) wohl einfach nicht mehr wichtig genug für mich, um mehr Zeit damit zu verbringen...



Phase 2: Schmerz


In dieser Phase begreift die Person, dass der Verlust (des Skills) tatsächlich eingesetzt hat. Dies ist die chaotischste und erschreckendste Phase der Trauer. Viele Personen wenden sich in dieser Phase Alkohol und (weniger legalen) Drogen zu, um mit der Situation klar zu kommen. Schuld und Gewissensbisse sind an der Tagesordnung, während man sich selbst den Entscheidungen stellt, die zum Verlust (des Skills) führten (und einen zum n00b werden ließen).


Springen wir zurück ins heute, so wissen wir, dass ich mir mittlerweile darüber im Klaren bin, dass ich ein Noob bin. [5] Immerhin habe ich ja auch im Artikel #200 ein wenig die Selbsterkenntnis-Schiene gefahren und dort ein wenig meinen Werdegang aufgezeigt. Dort habe ich ja auch selbst gesagt, dass mein Zenit als Spieler schon Ewigkeiten zurückliegt (und mein Zenit als Judge auch schon wieder über 3 Jahre).

Ich weiß daher jetzt recht genau, dass ich wohl leider keine Yu-Gi-Oh! Championship Series gewinnen werde. [6]



Phase 3: Zorn


Während dieser Phase entwickelt die betroffene Person einen unheimlichen Zorn aufgrund der Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren ist. Darüber hinaus wird man häufig auch auf andere Personen wütend, die für den Verlust (des eigenen Skills) verantwortlich sind.


Ich war relativ enttäuscht, dass ich meinen Traum eines YCS Sieges wohl nicht verwirklichen können würde. Ich war nicht unendlich sauer oder so... mein Gott, schließlich könnte ich jederzeit wieder eine Weltmeisterschaft als Head Judge leiten... und außerdem gibt es ja wirklich genügend Pros da draußen, die jede Menge Skill an den Tag legen.


Dann geschah das Unglaubliche: Michel Grüner gewann eine Deutsche Meisterschaft. Und wenig später Florian Chitic. Und wenig später gewann Michel sogar die Europameisterschaft! [7]


WTF???


Michel... ihm musste ich damals überhaupt erst erklären, was eTCG.de ist! Gut, er hatte als Schüler unendlich viel Zeit und jetzt geht das als Student so weiter, aber trotzdem...

Ich ging auf Ursachenforschung und stellte fest, dass Michel Mitglied in einem heftig krassen Team ist. Gerüchten zufolge tauschen die Jungs die krassesten Mischtechniken Decklisten miteinander aus, so dass sie immer besser werden. Dazu kommt noch Claudio, der einzige wirklich gute Spieler, der sich in einem Internetforum gemäßigt ausdrücken kann. Das musste auf jeden Fall auch noch mit rein spielen, so ein Mensch kann nur eine gute Wirkung auf andere haben.


Also gut, es ließ sich also erklären, dass Michel mal was gewinnt. Immerhin hat er kein Real Life als Yu-Gi-Oh! spielender Schüler / Student. Aber Flo?! Der hat doch immer alle Hände voll Frauen zu tun!? Wie war das also möglich?!

(Andererseits war Flo vor Ewigkeiten mal in Team Overdose und das war ja sowieso das krasseste Team aller Zeiten. Trotzdem... er nimmt irgendeinen Netdeck und wird Deutscher Meister? Das sollte doch wirklich nicht möglich sein...)


Als Spieler wird man eigentlich nur besser, wenn man gegen noch bessere Spieler spielt. Oft. Da kam mir wieder mein eigenes Team in den Sinn, das mehr oder weniger zerfallen ist. Darüber hinaus bin ich mir nicht so sicher, ob mir in meinem uralten Team irgendjemand was spielerisch voraus hatte. [8]

Während ich so an die Sache ran ging, wurde mir schlagartig bewusst, dass mein Team die Schuld daran trug, dass ich so ein riesiger Noob geworden bin. Jo, das musste es sein... womit wir direkt zur nächsten Phase kommen:



Phase 4: Verhandeln


Nach der schmerzhaften Phase der Wut wird die trauernde Person immer frustrierter und beginnt damit, Anderen die Schuld zu geben. Obwohl es keinen objektiv betrachtet richtigen Grund gibt, Anderen die Schuld zu geben, ist die trauernde Person nicht in der Lage, die traurige Wahrheit zu akzeptieren. Diese Phase nennt sich Verhandeln. Hier wird versucht, um den Verlust zu verhandeln und Wege zu finden, durch die man erneut das bekommen kann, was man verloren hat.


Nachdem mir also klar war, dass es überhaupt nicht meine Schuld war, so scheiße geworden zu sein und ich etwas unternehmen musste, um endlich mal wieder ein Event zu gewinnen, machte ich mich auf die Suche nach neuen Möglichkeiten, um mein Spiel zu verbessern.

Ich hatte bei Gobbos Helpline angerufen, um mir ein paar Optionen aufzeigen zu lassen, doch dort war gerade besetzt. Ich hatte mir Piyals Videos lange angesehen und die richtige Kaugummisorte gewählt, um so den "Klebefingertrick" in absoluter Perfektion vollenden zu können, doch in der Praxis stellte sich heraus, dass ich meine eigenen Fähigkeiten als Magier etwas überschätzt hatte... [9]


Schließlich wurde mir irgendwann bewusst, dass mein größtes Problem der Umgang mit dem Extra Deck war. Ich war einfach überfordert damit, aus 15 weiteren Karten (die 6 auf meiner Hand beschäftigten mich schon ausreichend) die perfekten Optionen heraus zu holen. "Damn you, Yu-Gi-Oh!" – es war langsam wirklich an der Zeit, sich mal ein anderes Spiel zu suchen...


Aber gut, das Problem war endlich identifiziert und ich müsste folglich nur jeden Spielzug 15mal in meinem Kopf durchspielen, immer mit anderen Monstern, die ich aus dem Extra Deck beschwören würde. Das würde dann auf jeden Fall mehr Siege ermöglichen!



Phase 5: Depression


Nach dem Zorn und dem Verhandeln akzeptiert die betroffene Person den Verlust (ihres Skills), allerdings ist sie immer noch nicht in der Lage, mit ihm umzugehen. Niedergeschlagen und verzweifelt verhält sich die Person in dieser Phase ihres Lebens äußerst passiv. Sie sieht keinen Ausweg aus ihrer Situation und verhält sich selten "normal"; sie verfällt in eine Depression.


Nach vielen theoretischen Experimenten mit meinem Extra Deck war ich gerüstet. Ich machte mich auf den Weg zur nächsten Hobby Liga...


... und droppte nach einem 0:3 Start.


Immerhin war eine Bar in der Nähe, so dass sich noch was aus dem Tag machen ließ...



Phase 6: Tests und Wiedereingliederung


In der Testphase beginnt die trauernde Person damit, sich erneut mit anderen Aktivitäten (= andere Spiele) zu beschäftigen, um ihrem Leben (als TCG Nerd) erneut einen Sinn zu geben. So entkommt sie der Depression (zumindest zeitweise) und geht langsam aber sicher in die letzte Phase der Trauer über – Akzeptanz der neuen Situation. Im Grunde baut sich die trauernde Person hier ein neues Leben auf, in dem sie wieder "funktionieren" kann.


Es gibt tatsächlich eine halbwegs gute Entsprechung zu dieser Phase für mich. Ich begann immer mehr damit, andere TCGs zu zocken. [10] Mittlerweile 3 gewonnene PlayStations, ein iPad und weitere Sachpreise lassen mich glauben, dass es der richtige Schritt war, das WoW TCG anzufangen.


Ansonsten habe ich mich auch immer mehr mit anderen Spielern und Schreibern beschäftigt, um meine eigene Sichtweise und Rolle innerhalb der Community besser zu verstehen. Daher verliere ich mal ein paar Worte zu zwei von ihnen:


Dönerschreck: Scheint eine ganz interessante Vorstellung von der Welt zu haben, die er leider nur schlecht in Worten ausdrücken kann. Spielerisch meiner Ansicht nach ganz gut mit dabei, hat offenbar nur Probleme damit, die Geheimnisse des Spiels (die mich auch wieder zu einem Skiller machen würden) in einfachen Worten zu erklären.


Nimrod Hellfire: Scheint eine ganz interessante Vorstellung von sich selbst zu haben, die sich leider mit der Sicht von 90% der restlichen Community beißt. Spielerisch offenbar nicht der Hammer, zumindest wenn man den ganzen Flamern Glauben schenkt, die immer seine Feedback-Threads bevölkern, dafür bringt er aber auch jeden seiner Gedanken vernünftig zu Papier.


Was mich zu einem kleinen Zwischenfazit bringt: Offenbar schließt es sich aus, guter Spieler UND guter Schreiber zu sein. Was sich natürlich auch perfekt auf mich selbst übertragen ließ... es hat also riesige Nachteile, viele Artikel für irgendwelche Webseiten zu schreiben!



Phase 7: Akzeptanz


Dies ist die letzte Stufe der Trauer. In ihr akzeptiert die trauernde Person die (neue) Realität, der sie sich stellen muss. Während dieser Phase kommt erneut verstärkt Hoffnung auf und die betroffene Person fühlt wieder eine gewisse Stabilität in ihrem Leben. Nach außen hin erkennt man mühelos den Eintritt in diese Phase an der Anteilnahme der betroffenen Person am sozialen Leben – sie verhält sich erneut wie zuvor und unterhält sich auch wieder gehäuft mit den Menschen in ihrem Umfeld.


Was passiert also, wenn ich mal wieder nicht raffe, dass ich schon im zweiten Zug den zweiten Evolzar Laggia beschwören kann? Ich mache mir nicht allzu viel draus. Wenn ich vergesse, am Ende der Runde für T.G. Angriffsnashorn zu suchen? Ich spiele weiter. Wenn ich mit Schwarz glänzender Soldat - Gesandter des Anfangs in Menschenfresserkäfer angreife, anstatt das Monster einfach mal zu verbannen? Ich seufze und das war's.


Wisst ihr warum? Es ist herzlich egal, ob man gut Yu-Gi-Oh! spielt. Es ist nur wichtig, dass man Yu-Gi-Oh! spielen will!


Vielleicht sollte man noch etwas Geld am Start haben.


Und eine hohe Schmerzgrenze. [11]


Und vielleicht noch einen nicht allzu ausgeprägten Geruchssinn. [12]



soul



Trends der Woche


Wohnungssuche


Anti-Trend der Woche bzw. meines Lebens ist Wohnungssuche. Ich hasse es. Fast so sehr wie Steuern und anderweitigem, beschissenen Papierkram. Solltet ihr eine tolle 2 Zimmer Wohnung in Berlin kennen, die gerade frei steht, einen Balkon hat und dazu vielleicht nicht unbedingt am Arsch der Welt angesiedelt ist, so lasst es mich wissen!



Steuer


Habe ich erwähnt, dass ich die Steuer ebenfalls hasse? Ja? Egal. Jedenfalls ist es auch wieder an der Zeit, furchtbar viele Belege in eine willkürliche Ordnung zu bringen, um dann auf dem Papier behaupten zu können, wie viel ich im vergangenen Jahr – wohlgemerkt dem ersten Jahr meiner Selbstständigkeit – verdient habe. Ob das dann übrigens einen Vermieter davon überzeugt, mir eine Wohnung zu vergeben, steht auf einem anderen Blatt...



Neuaufstellungen


Es tut sich was in meiner Firma. Wir entwickeln gerade ein paar neue Produkte und werden dann wohl auch die Webseite in Kürze mal wieder auf den aktuellen Stand bringen. Leider bleibt bei all dem Stress zwischen Steuererklärung und Wohnungssuche viel zu wenig Zeit dafür übrig. Doch fragt mich noch mal in 2 Monaten und dann sieht das alles bestimmt wieder viel besser aus.




[1] Dazu war ich eigentlich auch noch einer der besten Schiedsrichter der Welt.


[2] Ich glaube, als Judge könnte ich immer noch so einiges vollbringen, daher lassen wir das an der Stelle mal außen vor.


[3] Offensichtlich spielte ich Plant Synchro.


Und fragt mich nicht, wie man genau ganz viele Synchrobeschwörungen mühelos in einem Zug vollführt... ich weiß nur, dass es höchstwahrscheinlich etwas mit Spore und Aufblühende Blumenzwiebel zu tun hat...


[4] Wir spielten immerhin Yu-Gi-Oh!...


[5] Für PJ hat es übrigens trotzdem noch gereicht.


[6] Auf der anderen Seite gäbe es dann keinen Typen, der so ein richtig cooles Feature Match aus meinen Begegnungen zaubern könnte...


[7] Fehlt nur noch, dass Harti die Weltmeisterschaft gewinnt...


Oder Adrian irgendwas...


[8] Immerhin könnte mir aber Prophet noch was über Poker beibringen...


[9] Offensichtlich handelt es sich beim überwiegenden Teil aller Cheater um ehemalige Skiller, die begriffen haben, dass sie mittlerweile Noobs sind.


[10] Nebenbei bemerkt bereitete es mir kaum Probleme, mir einzureden, dass die viel mehr Skill benötigen würden!


[11] Insbesondere, wenn man Kolumnist auf eTCG.de ist...


[12] Wobei das ja vollkommen einfach nachvollzogen werden kann – immerhin ist das Spiel eben SO beliebt, dass selbst die größten Hallen mühelos gefüllt werden können. Und wenn eben so viele Menschen auf engem Raum verkehren (bitte nicht missinterpretieren und hier einen unterschwelligen sexuellen Verkehr unterstellen), dann entwickeln sich mitunter auch mal weniger angenehme Gerüche. So ist das eben.


Außerdem ist das ja irgendwo sexy.

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