Kartenvorteil Part I

"Die Geschichte des Kartenvorteils ist eine Geschichte voller Missverständnisse."


Das ist zwar eigentlich totaler Blödsinn, aber da diese Floskel so toll klingt musste ich sie einfach mal in den Artikel mit einbauen. Folglich werde ich fortan etwas Schadensbegrenzung betreiben und ernster werden, nicht dass mich später wieder vernichtende Kritik trifft, ich würde nur Blödsinn erzählen.

Nachdem Edi weiterhin munter Decks baut habe ich mir gedacht, ich erläutere mal ein wenig die Prinzipien, die hinter dem Deckbau stehen. Denn nur wenn man sich möglichst nah an die grundlegenden Spielprinzipien, wie Kartenvorteil hält, kann man ein gutes Deck bauen!


Inzwischen haben sehr viele Spieler die Bedeutung des zentralen Spielprinzips von Yu-Gi-Oh verinnerlicht. Das war in der Vergangenheit glücklicherweise nicht so, daher kann ich euch nebenbei noch etwas über die junge "Geschichte" des zentralen Themas meines heutigen Artikels erzählen. Da diese Artikelserie nicht nur für die erfahrenen Pro Gamer, sondern auch für neuere Spieler gedacht ist versuche ich somit jeder Gruppe etwas Interessantes mitteilen zu können. Die einen werden eher an der Geschichte des Kartenvorteils interessiert sein, die anderen eben an dem Thema selbst. Da der Artikel dann doch unerwartet lang wurde und folglich den Rahmen meiner wöchentlichen Kolumne sprengte, wurde er zweigeteilt. Folglich möchte ich im ersten Teil mehr auf den 'geschichtlichen Hintergrund' (das klingt so, als wäre Yu-Gi-Oh! Jahrzehnte alt, aber ihr wisst ja, was gemeint ist) eingehen und dann im zweiten Teil auf Kartenvorteil selbst. Und los geht's!


Vor der Zeit des Skills


"Früher war alles besser!"

Ja, das hat schon meine Oma mir immer gesagt (immer und immer wieder), obwohl sie gar keine Ahnung von Yu-Gi-Oh! hatte. Doch wie in so vielen Pauschalweisheiten verbirgt sich auch hier ein Stück Wahrheit. Früher war es nämlich tatsächlich einfacher ein Turnier gänzlich ohne Spielverständnis zu gewinnen. Gehen wir ganz zurück in die... ähm... aufregende (ja, genau "aufregende!") Zeit der 1. Deutschen Meisterschaft. Damals hatte man die Wahl, ob man mit einem konkurrenzfähigen, aber drawabhängigen Drachen-Deck (mit 3 Blauäugigen W. Drachen, Herr der Drachen und Drachenrufflöte) oder mit einem beständigen, aber relativ unspektakulären Mono-Beatdown Deck antreten wollte. Mal abgesehen von einigen Monstern gab es kaum Unterschiede in den Decks, folglich kam es hauptsächlich darauf an, wer zuerst Schwarzes Loch, Raigeki, Wiedergeburt, usw. gezogen hatte.


Die Betonung liegt allerdings auf hauptsächlich. Damals wie heute gilt ein einfacher Grundsatz: Man sollte möglichst viel Vorteil aus den eigenen Karten ziehen. Wenn der Gegner also nur 1 Monster kontrolliert ist es schlechter (oder um es direkt zu sagen: dümmer) Raigeki zu 'verblasen', als wenn man mit einer Karte gleich 3 gegnerische Monster vom Feld fegen kann.

Dies zu begreifen ist der erste Schritt, um es mal weit als Yu-Gi-Oh! Spieler zu bringen (ich verzichte hier bewusst auf persönliche Bashes, auch wenn mir jetzt einige schlechte Scherze auf der Zunge liegen). Nun ja, um es mal etwas kurz zu machen, damit ich näher auf Kartenvorteil eingehen kann, es hatte sich im Laufe der Zeit bis vor der ersten Liste der verbotenen Karten wenig geändert. Es wurde sogar noch krasser, denn das gute alte Drachendeck verschwand fast gänzlich von der Bildfläche (*Träne_hinterher_wein*) und es gab nur noch Chaos Control. Folglich kam es eben darauf an, wer den Chaos Emperor Dragon - Envoy of the End zuerst zog, bzw. den Black Luster Soldier - Envoy of the Beginning.


Nun wird es langsam Zeit, dass unsere erfahrenen Leser aussteigen, denn ich muss mich als Fan von Yu-Gi-Oh! GX outen! Und zwar ganz im Speziellen von Bastion Mizawa. Er hat erkannt, was denn so hauptsächlich hinter dem Spiel steckt, nämlich Mathematik. Keine Angst, ich möchte jetzt niemandem irgendwelche Integrale vorsetzen, mit denen ihr nichts anfangen könnt, wir bleiben bei einfacher Addition und Subtraktion.


Jeder Spieler hat grundsätzlich verschiedene Ressourcen. Da wären zum einen das Deck, die Handkarten, die Feldkarten und der Friedhof (eine weitere Ressource sind übrigens Life Points, das nur mal der Vollständigkeit halber). In einigen Decks ist zudem noch der Stapel der aus dem Spiel entfernten Karten von Bedeutung (*hust* Wink mit dem Zaunpfahl *hust*). Der Friedhof und das Deck sind in den meisten Situationen bedeutungslos. Denn hauptsächlich zieht ihr einen Nutzen aus euren Hand- und Feldkarten. Folglich werden bei der Berechnung der eigenen Karten immer nur die Hand- und Feldkarten heran gezogen. Besitzt ihr 3 Handkarten und 2 Monster auf dem Feld, habt ihr beispielsweise insgesamt 5 Karten.

Eine weitere Folge aus dieser Rechenweise ist, dass ihr keine Karte verliert, wenn ihr ein Monster beschwört. Ihr verliert lediglich eine Handkarte und gewinnt eine Feldkarte, was praktisch die Gesamtanzahl eurer Karten nicht verändert. Natürlich verhält es sich bei eurem Gegner genauso.


Um noch mal kurz zurück auf unsere geschichtliche Entwicklung überzuleiten, möchte ich erwähnen, dass es früher fast gänzlich egal war, ob man in Kartennachteil war. Angenommen, der Gegner hatte 6 Karten und man selbst nur Sangan auf dem Feld, so musste man 'nur' CED - EotE topdecken, beschwören, seinen Effekt nutzen, den Gegner somit für seine vielen Hand- und Feldkarten bestrafen, Yata suchen, beschwören, angreifen und Spiel gewinnen. Klingt nach nem recht einfachen Erfolgsrezept und angesichts der Tatsache, dass man noch viele Effekte hatte, die das eigene Deck beschleunigten, war es nicht mal SO unwahrscheinlich, dass man schnell an einen CED - EotE im richtigen Moment kommt. Zur Verdeutlichung: Hier wurde eben ein Spiel gewonnen, bei dem man 5 (FÜNF!) Karten im Nachteil war. Mit 'nur' 1 Topdeck. Kein Wunder, dass das Format als 'Lucker-Format' verschrien war.


Die Folgen der Banned List


Doch heute herrscht ja bekanntermaßen die Zeit des Skills. Es ist nicht mehr so einfach in Kartenvorteil zu gehen, da nahezu alle Karten verboten wurden, die uns nahezu sicher Kartenvorteil garantieren können. Übrig geblieben sind derzeit im Grunde nur Reißender Tribut, Spiegelkraft und Graceful Charity (und letztere auch nur, wenn man sie beispielsweise mit Broww oder Baumfrosch kombiniert). Andere Karten, wie Baumfrosch können zwar auch für sich allein genommen Kartenvorteil bringen, nur ist das dort nicht so einfach, wie bei den 3 zuerst genannten Karten.


Absolut typisch für die aktuelle und die letzte Liste der verbotenen und limitierten Karten ist das '1 für 1' Prinzip, das manchmal auch einfach nur 'Kartentausch' genannt wird. Wenn euch beispielsweise euer Gegner mit einem D. D. Assailant attackiert und ihr eine Sakuretsu Rüstung aktiviert, verliert ihr 1 Feldkarte und euer Gegner ebenfalls. Folglich fand ein 'Kartentausch' statt. Da der Assailant immer ein gegnerisches Monster mitnimmt, auch wenn er im Kampf mit einem stärkeren Monster zerstört wurde garantiert er euch IMMER einen 1 zu 1 Tausch, was seine Beliebtheit zur Zeit der letzten Liste und seine Limitierung bei der aktuellen Liste begründet.


So, mit diesen Worten haben wir auch schon den Bogen von den vergangenen Formaten bis in die Gegenwart gespannt. Das Spiel hat sich vom 'Topdeck-Wettkampf' zum 'Kampf der Strategen' entwickelt, da es eben jetzt hauptsächlich darauf ankommt, sich die richtige Karte für den richtigen Zeitpunkt aufzuheben. Bedingt dadurch, dass viele Decks nahezu identisch sind, spielt der GV (= Glücksfaktor - und ja, das heißt absichtlich 'GV' und nicht 'GF', wer diesen tollen Bud Spencer und Terence Hill Film gesehen hat versteht den Witz) allerdings auch weiterhin eine sehr starke Rolle, doch dieses Problem sollte wenn, dann in einem späteren Artikel erläutert werden.


Ich hoffe, ihr freut euch schon auf nächste Woche, in der ich diesen Artikel dann fortsetzen werde.


soul