Ein Blick zurück und ein Blick nach vorne - Teil II

Letzte Woche haben wir uns mit einem Rückblick auf die alte Banned List befasst, doch diese Woche geht es ans Eingemachte:


Ein Blick in die Zukunft: Das Winterformat 2006


Der wohl hervorstechenste Bann, den die neue, seit dem 1.9 geltende Banned & Restricted List nach sich gezogen hat, ist der von Chaos Sorcerer,mit dem der Chaos-Ära ein endgültiges Ende gesetzt wurde, wie Jason Grabher-Meyer gar nicht oft genug sagen konnte. Wer sich alles über das Banning von Chaos Sorcerer freut? Nun, in erster Linie die meisten Spieler. Doch auch eine Menge Karten würden sich darüber freuen, wenn sie sich freuen könnten. Das Verbot von Chaos Sorcerer öffnet ganze Welten an neuen Möglichkeiten. Chaos Sorcerer war das letzte Allroundmonster seiner Art: einfach und nahezu kostenfrei zu beschwören, hohe Angriffswerte und ein Effekt, der in nahezu jeder Situation effektiv nutzbar ist, im Extremfall das Spiel kippen kann. Das Spiel kippen? Wenn wir gerade bei diesem Thema sind, springt eine weitere Karte ins Auge, die nach der neuen Banned List nicht mehr erlaubt ist und schon immer im Ruf stand, Spiele zu kippen: Snatch Steal. Von diesen zwei Karten abgesehen bleibt nur noch eine letzte, situationsabhängige, die ein Spiel aus dem Nichts noch plötzlich für einen retten kann – vorausgesetzt man hat eben mal 5000 Life Points bereit, um für diese Rettung teuer zu löhnen: der allgegenwärtige Cyber-Stein.


Die Rolle der Feldkontrolle


Mit Snatch Steal, Chaos Sorcerer und Tsukuyomi wurden drei Karten gebannt, die ohne Zweifel Kartenvorteil versprechen. Während letztere diesem Zweck nicht ausschließlich dient, bedeuten Chaos Sorcerer und Snatch Steal dagegen in erster Linie Feldkontrolle, wobei sich Feld- und Kartenvorteil hier natürlich nicht ausschließlich. Mit drei weiteren Karten auf der Banned List, die für schnelle Feldsicherheit gesorgt haben, steht fortan die Frage im Vordergrund, welche Rolle der Feldvorteil bei diesem Spiel einnimmt. Die einzigen beiden wirklich konkurrenzfähigen Mass Removals werden durch zwei Fallen repräsentiert: Torrential Tribute und Mirror Force. Die Tatsache, dass es Fallen sind, macht das Spiel für Decks, die auf permanente Feldkontrolle setzen, um einiges leichter, als wenn es sich um Zauberkarten handeln würde. Warum? Bei den Fallen handelt es sich um den Kartentyp, der am leichtesten zu umgehen ist, sei es mit Jinzo, Royal Decree oder einfachem Spell-/Trap-Removal (wie Dust Tornado, Mobius the Frost Monarch, Heavy Storm usw.), sofern es sich – wie im Fall von Mirror Force und Torrential Tribute – um nicht chainbare Karten handelt. Aus all diesen Faktoren können wir einen einfachen Rückschluss ziehen: die Feldkontrolle wird zukünftig eine größere und stärker zu beachtende Rolle einnehmen als bisher. Ohne vielseitige Removals wie Snatch Steal und Chaos Sorcerer fällt es weitaus schwerer, ein volles Feld beim Gegner freizuräumen. Da nutzt es einem auch kaum etwas, wenn man auf acht Handkarten herumsitzt, es sei denn, man möchte auf Lighning Vortex zurückgreifen, dessen Situationsabhängigkeit uns sicher allen bewusst ist.


Doch all diese Veränderungen – zusammen mit Schwächungen des Hand-Control-Themas durch die Limitierung von Spirit Reaper und Magician of Faith – bedeuten nicht zwingend, dass zukünftig alle Decks darauf hinarbeiten werden, in den ersten paar Zügen ihr Feld vollzuhauen und mit massivem Feldvorteil zu gewinnen, nein, es bedeutet nur, dass man sich davor wappnen muss, dass einem der Gegner mit einer für einen selbst unüberwindbaren Armee überrennt. Schutz vor einem deartigen Schicksal bieten nicht nur offensichtliche Monster Removals wie Smashing Ground oder Sakuretsu Armor, sondern auch subtilere Möglichkeiten der Feldsicherheit in der Form von Swarmern wie Giant Rat, Apprentice Magician, Nimble Momonga oder Ähnlichem.


Gerade Swarmern wird mit der neuen Banned List eine nie dagewesene Chance eröffnet. Mit Chaos Sorcerer wurde ihr letzter Erzfeind gebannt, was ihre Anfälligkeit auf einige wenige sehr spezielle Karten wie D.D. Crazy Beast oder King Tiger Wanghu beschränkt – die wiederum nur zum Einsatz kommen, wenn sich das Metagame zu drastisch in Richtung Swarmer entwickelt. Mit dem Ende des Chaos-Zeitalters rücken erstmals auch andere Swarmer als Shining Angel, Mystic Tomato und Apprentice Magician, die als das typische Light/Dark-Futter dienten, ins Scheinwerferlicht und bekommen ihre große Chance. Angefangen bei Giant Rat, die eine ganz neue Möglichkeit der Toolbox offenelegt: Monster Removal (Exiled Force), Stall (Nimble Momonga, Legendary Jujitsu Master) oder auch einen Beatstick/Finisher (Injection Fairy Lily), über Pyramid Turtle, die eine besondere Form der Feldkontrolle aufbauen kann, da sie das beste Stall-Monster (Spirit Reaper) oder ein schlagkräftiges Tributmonster (Ryu Kokki) searchen kann, bis hin zu UFO Turtle, deren Kombination mit Cyber Phoenix einem Maschinen-Deck eine völlig neue Nuance verleihen kann.


Doch natürlich sind Swarmer nicht die einzigen Karten, die vom Banning Chaos Sorcerers und der Wichtigkeit der Feldkontrolle profitieren, auch alle Monarchen gewinnen rapide an Spielbarkeit, gerade auch durch das Banning von Tsukuyomi. Sowohl Chaos Sorcerer als auch Tsukuyomi waren Karten, die die Monarchen daran gehindert haben, Vorteil zu machen, weil sie mindestens in einem 1:1-Tausch entsorgt wurden. Gelingt es mir nach neuer Banned List, ein Flipp-Monster oder Sangan – bzw. auch gern ein gegnerisches Monster mit Brain Control oder Soul Exchange – für einen Monarchen zu opfern, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Monarch im Endeffekt +1 oder +2 macht, wenn man nicht davon ausgehen will, dass der Gegner den Monarchen mit einem Beast of Talwar in den Boden rammt. Ob diese Veränderung dem Spiel letztlich gut tut oder nicht, lässt sich so einfach nicht beantworten – doch dafür sind wir auch gar nicht hier. Fest steht, dass die Monarchen – und damit verbundene Decktypen wie Soul Control durch die neue Banned List an Stärke gewinnen.


Ein Format, das nach Feldkontrolle schreit, schreit gleichzeitig nach mehr Spezialbeschwörungen. Spezialbeschwörungen kann man, wenn man von Ausnahmen wie Gilasaurus (womit ich Gilasaurus auf keinen Fall als schlecht bezeichnen will) absieht, oft mit dem Wort Feldüberlegenheit, Feldkontrolle gleichsetzen. Wem das zu neuen Chancen verhilft? Grundsätzlich natürlich allen Elementen, in erster Linie aber Licht Remove und Earth bzw. Earth Remove, weil hier nicht nur die beiden stärksten Spezialbeschwörungen in Form von Soul of Purity and Light und Gigantes zu finden sind, sondern auch Support für das Return from the Different Dimension-Thema durch Freed the Brave Wanderer und Bazoo the Soul Eater, die gleichzeitig in der Lage sind mit starken Tributmonstern fertig zu werden – eine Fähigkeit, an der es Themendecks meist mangelt. Selbstverständlich bleiben Cyber Dragons ganz oben auf der Liste spielbarer Karten, doch auch auf Neuzugänge im Bereich der Spezialbeschwörungen sollte man sich gefasst machen. Doom Dozer? 2800 Angriffspunkte überragen nahezu alles und der Insektensupport kann in Form von Magical Merchant und Gokipon sehr einfach geleistet werden. Natürlich kann man auchauch auf eine stärker beatdownorientiertere Variante mit Howling Insect und Insect Knight setzen – solange man sich nicht vor Insektensperre fürchtet. Als letzte Erwähnung ist an dieser Stelle Book of Life als die wohl effektivste Rebornkarte nach Premature Burial und Call of the Haunted zu finden. Einen Beatstick mit 2400-Punkten wiederzubeleben klingt nicht schlecht, gerade wenn dieser Beatstick problemlos mit einem effektiven Swarmer aufs Feld zu befördern ist. Kann Zombie nach so langer Abwesenheit von der erfolgreichen Turnierszene gelingen? Die Zukunft wird es zeigen.


Was geschieht mit Cyber-Stein? Viele Leute waren verwundert, dass er nicht auf der Banned & Restricted List erschien, die Plage, die sich in 90% der letzten Decks im alten Format befunden hat. Anscheinend hat die KONAMI- und UDE-Delegation zur Erstellung der Banned List da was geplant. Ganz klar – Ring of Destruction und die Semi-Limitierung von Giant Trunade schwächen Cyber-Stein. Doch ist das alles? Was, wenn sich das Metagame so entwickelt, wie von vielen prophezeit? Was, wenn Feldkontrolle und Schaden eine zentralere Rolle einnehmen als in der Vergangneheit? Ein Direktangriff, ein Ring of Destruction und ein einfacher Stein-Finish ist verhindert, und Nimble Momongas sowie Draining Shields müssen erst einmal effektiv zum Einsatz kommen. Welche Rolle Cyber-Stein in diesem Format spielen wird, lässt sich noch nicht genau voraussagen, aber ich gehe davon aus, dass ein Stein-OTK immer noch spielbar sein wird. Spielbar, nicht überlegen – auf einem Level mit anderen Deckarten. Sollte das der Fall sein, so gibt es daran nichts auszusetzen – immerhin wollen wir ein vielschichtiges Metagame.


„Phönix! Phönix aus der Asche!“ – solche Sprüche hört man bei der Veröffentlichung jeder Liste, manchmal mit anderen Hauptdarstellern, aber man hört sie immer. Hier sollte man vor voreiligen Schlüssen warnen. Natürlich kommt einem bei dem Bann von Chaos Sorcerer die Idee, Phoenix zu spielen, aber man muss sich gleichzeitig vor Augen halten, dass Phoenix eine Karte ist, die Supoort erfordert und – in erster Linie – wie sich das Metagame entwickeln wird. Wird häufig Soul Control gespielt oder sind Monarchen an sich beliebt, ist der Aufwand für Phönix’ Beschwörung das Resultat äußerst selten wert. Eine Warrior Toolbox zerlegt mit gleich zweien oder dreien ihrer Spielzeuge den legendären Vogel – D.D. Warrior Lady, D.D. Assailant und, wenn auch eher selten, D.D. Warrior. Und wo wir gleich bei der Toolbox sind, auch bei ihr handelt es sich um eine der Deckarten, die beim Erscheinen einer neuen Banned List wie Unkraut aus dem Boden sprießen. Zweifelsohne ist die Toolbox, gemixt mit einem Standart Control oder einem anderen Decktyp (soul erwähnte hier z.B. Strike Shift) nicht zu unterschätzen, aber man muss sehen, dass die Warrior Toolbox bisher nur in einem Format wirklich erfolgreich war, in einem, in dem 3 D.D. Assailants erlaubt waren, und auch dann nur bis zum Erscheinen von Pot of Avarice (sieht man mal von diesem Verrückten ab, der die Deutsche Meisterschaft ’05 mit zwei Reinforcement of the Army, 2 Dons und einigen anderen schlechten Warriorn gewann). Eine Toolbox ist sicher gut, aber sie sollte nicht überschätzt werden und man sollte vermeiden, dass man in einer Ermangelung von Kreatitivät direkt auf das nächstbeste Deck zurückgreift.



Vorhin habe ich um ein Gedächtnis aufzufrischen in einigen Threads herumgewühlt, die sich mit der letzten Banned List befassten. Damals stand die Limitierung von Graceful Charity kurz bevor und es wurde angekündigt, dass Deck Devastation Virus ab dem 1.4.06 zwei Mal spielbar sein würde. Die Reaktion? Selbstverständlich – Dark World wurde als neues Metagame beherrschendes Deck bezeichnet. Ich gebe zu, dass es mir selbst nicht anders ging, als ich die Banned List betrachtet habe. Wer hatte da schon Augen für Chaos Sorcerer? Nein, der Blick fiel auf die Änderungen, wie er immer auf die Änderungen fällt. Was wurde aus Dark World? Sicher kein wirklich erfolgreiches Turnierdeck, wenn man einmal vom zweiten Platz eines Spielers aus Hong Kong bei der Weltmeisterschaft absieht.


Was ich damit sagen will? Der erste Blick fällt immer zuallerest auf die Änderungen und was aus ihnen resultiert. Das Ergebnis aus diesen Beobachtungen kann uns weiterhelfen, aber wir sollten es nicht überschätzen. Ein Metagame entwickelt sich nicht sofort, weshalb es uns selten etwas nutzt, beim Erscheinen einer neuen Liste sofort Decks mit den Titeln „OMG Phönix total br0ken!!111“ zu eröffnen.

Was wir jetzt tun können ist testen, testen, testen. Viele Decks, neue Decks, alte Decks. Was letztlich wird, können wir mitbestimmen, aber nicht alleine bestimmen. Wir können nur hoffen – hoffen, dass wir uns im kommenden Halbjahr auf ein interessantes, gesundes Metagame freuen dürfen.


Grüße,

Gobbo