The psychology behind Yu-Gi-Oh! - Warum bauen wir Decks, wie wir sie bauen? – Teil 2

Worüber man sich Gedanken macht


Unsere erste Theorie ist das Agenda Setting. Die These von Bernard C. Cohen hat hierbei den Grundstein gelegt. Er schrieb in seinem Werk „The press and foreign policy“ von 1963 davon, dass die Presse zwar nicht erfolgreich darin wäre den Leuten zu erzählen, was sie denken sollen, aber umso erfolgreicher darin wäre den Leuten zu erzählen, worüber sie nachdenken sollen.


Die Hypothese wurde daraufhin im Präsidentschaftswahlkampf 1968 aufgegriffen. Bürger der Kleinstadt Chapel Hill wurden über die Themen der Politik befragt, die ihrer Meinung nach am wichtigsten sind. Die Publikumsagenda, also die Rangfolge, der in der Öffentlichkeit diskutierten Themen, wies eine hohe Korrelation (.96) auf mit den Themen, die in den Medien häufig dargestellt wurden. Die Erhebung hatte einige Schwachpunkte, in Bezug auf Stichprobengröße und das nicht-Hinterfragen der Mediennutzung.


Die Typologie der Agenda-Setting-Forschung setzt sich seitdem aus drei Hauptmodellen zusammen:


Das erste Modell wäre das Prioritäten-Modell, das sich mit der Themenstrukturierung beschäftigt, also mit der Rangfolge der Themen. Das bezieht sich, wie beschrieben, auf die Publikumsagenda und deren Korrelation mit der Medienagenda. Hier konnte das Agenda-Setting als gesellschaftlicher Effekt erkannt werden, insofern man die aggregierten Daten zur Analyse hernimmt. Aggregierte Daten sind eine Bündelung von vielen Einzelbeobachtungen zu einem einzigen Wert. Bei den Individualdaten, also dem Vorstellungsmuster der einzelnen Rezipienten – den Empfängern der Kommunikation – hat man jedoch nur eine geringe Bestätigung in den empirischen Untersuchungsmodellen, unter anderem deswegen, da das Thema wenig erforscht wird. Empirie ist die Beobachtung von Sachverhalten, sodass neu aufgestellte Hypothesen und Theorien überprüft werden können.


Das zweite Modell ist das Salience-Modell, welches sich auf die Wichtigkeit bestimmter Themen beschränkt. Bei der Individualanalyse spielen andere Dinge mit in den Verarbeitungsprozess der Mitteilung ein, wie beispielsweise die persönliche Betroffenheit, aber auch ob die Kommunikation interpersonal – also von Mensch zu Mensch – stattfindet. Was man beachten sollte: durch die modernen Medien gibt es keine strikte Trennung zwischen Individual- und Massenkommunikation, weswegen sich das auch in diesem Modell nicht klar trennen lässt.


Das letzte Modell ist das Aufmerksamkeitsmodell. Es geht nur um die Thematisierungsfunktion der Medien, also, dass der Rezipient über die Medien auf Themen aufmerksam gemacht wird.


Wie willst du jetzt die Überleitung zu Yu-Gi-Oh! schaffen?


Eine exzellente Frage. Wenn man es streng nimmt, so habe ich schon im ersten Teil dieser Reihe den Übergang gewagt. Denn auch das Priming gehört zum Agenda Setting, präziser zum Second-Level-Agenda-Setting.


Ich versuche es dennoch einfach aufzuzeigen anhand des Wirkungsverlaufs des Agenda Settings.


Beim Kumulationsmodell wird durch höhere Berichterstattung eine höhere Platzierung auf der jeweiligen Publikumsagenda gefördert. Dies bringt Yu-Gi-Oh! Spieler dazu sich zum Beispiel verstärkter mit den vorgestellten Themendecks von YugiTubern – YouTubern mit Fokus auf Yu-Gi-Oh! – auseinanderzusetzen.


Hierbei ist es wichtig, dass ein gewisses Mindestmaß an Berichterstattung zu den Themendecks geführt wird, sodass die Themen auf der Publikumsagenda landen. Da spricht man vom sogenannten Schwellenmodell.


Dann kommt unser aller Favorit, nämlich die Market Watcher. Das sind Leute, die mit ihrer Onlinepräsens auf harten Trader machen wollen und so das Marktgeschehen stark beeinflussen, vor allem im amerikanischen Raum. Solche Berichterstattungen fallen unter das Beschleunigungsmodell, da die Spielerschaft schnell auf diese Themen reagiert.


Natürlich fallen auch andere Wirkungen mit ein. So hat zum Beispiel ein Video von Farfa zu Burning Abyss eine weitaus größere Wirkungsintensität als ein Video von einem Regional Top, da die persönliche Betroffenheit und die Selbstinszenierung miteinspielen.


Die Nutzungswirkungen hingegen wirken besonders stark bei wenig ausgearbeiteten Themen, wie beispielsweise zu Deckvorstellungen von neuen Themendecks durch die einschlägigen YugiTubern.


Das gefährliche am Agenda Setting ist die Kontextwirkung, die beschreibt, dass die Umwelt auf die Publikumsagenda einen stärkeren Einfluss auswirkt als die verwendeten Medien. Hat man nun leicht beeinflussbare Menschen im direkten Umfeld, so hat man nicht nur die direkte Beeinflussung von den Medien, sondern auch die indirekte Beeinflussung durch das Umfeld. Es kann einiges an Ressourcen und mentaler Stärke kosten, wenn man das herausfiltern und aufarbeiten möchte.


Wirke ich überzeugend?


Das sogenannte Elaboration Likelihood Model beschreibt zum einen inwiefern sich eine persuasive Mitteilung auf die Einstellung zu einem bestimmten Thema auswirkt, und zum anderen mit welcher Wahrscheinlichkeit sich jede einzelne Person die Zeit nimmt sich mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen, oder eben nicht. Persuasive Kommunikation ist eine Form der Kommunikation, die auf Einstellungsänderung abzielt.


Nimmt man eine Person, die über viele Dinge ausdrücklich nachdenkt, so wird diese Person mit erhöhter Wahrscheinlichkeit die zentrale Route zur Verarbeitung einer Nachricht verwenden. Bei der zentralen Route hat man einen hohen Aufwand mit dem Heraussuchen der Informationsquellen und deren kritischen Aufbereitung. Voraussetzung ist die Motivation hinter dem Erschließen neuer Erkenntnisse, die sogenannte „need for cognition“, wie auch die Motivation der Person selbst.


Wenn man eine Person hernimmt, die eine geringe Motivation zur Verarbeitung von Informationen hat, so nimmt diese mit erhöhter Wahrscheinlichkeit die periphere Route zur Aufarbeitung. Peripher heißt hierbei nebensächlich oder umliegend. Es beschreibt das dezentrale Verfolgen von peripheren Reizen, wie beispielsweise die aktuelle Stimmung der Person. Es werden keine Daten kritisch aufbereitet und es wird sich an Heuristiken orientiert. Das kann zum einen auf die nicht vorhandene Motivation des Empfängers schließen, wie auch auf die nicht vorhandene Betroffenheit. Zum anderen kann es aber auch am Sender der Nachricht liegen, wenn dieser als nicht seriös oder unsympathisch angesehen wird.


Natürlich sind auch nachdenkliche Menschen meistens auf der peripheren Route unterwegs. Wenn beispielsweise eine intelligent wirkende Person eine Meinung äußert, so besteht die Möglichkeit, dass man sich der Meinung einfach anschließt. Auch das persönliche Umfeld kann hier miteinwirken, nach dem Motto „Wenn es alle machen, dann kann es nicht so schlecht sein.“.


Menschen, die den zentralen Weg gegangen sind, sind gefestigter in ihrer Einstellung zum Sachverhalt, da sie sich mit dem Thema aktiv auseinandergesetzt haben und somit die Tiefe der Verarbeitung einen großen Einfluss auf die Festsetzung im Gedächtnis hat.


Währenddessen haben Leute, die den peripheren Weg verfolgt haben, eine instabile Einstellung, die sehr änderungsanfällig ist.


Durch das Elaboration Likelihood Modell können wir also verstehen, wieso und wie genau gerade unerfahrene Spieler, also Spieler, die nicht in der benötigten Tiefe auf die Sachverhalte eingehen können, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit in Sachen Deckbau und Kartenwahl beeinflusst werden. Sie könnten zwar eine hohe „need for cognition“ haben, jedoch fehlt ihnen das qualitative Vorwissen, was ein bedeutender Einflussfaktor ist in der Entscheidung, ob das Individuum den zentralen oder den peripheren Weg nutzt.


Einen richtigen Schutz dagegen gibt es nicht, da selbst erfahrene Spieler Heuristiken haben und danach agieren. Man muss also viel Selbstreflektion betreiben und auch schon bekannte Sachverhalte erneut überdenken.


Der Pawlowsche Hund des Yu-Gi-Oh!


Der Pawlowsche Hund ist das Vorzeigebeispiel der klassischen Konditionierung, die sich im Bereich des Behaviorismus bewegt. Der Behaviorismus ist eine Lerntheorie, die sich mit dem Verhalten eines Individuums beschäftigt. Beim Versuch hatte der russische Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow einen Hund darauf konditioniert, dass er das Ertönen einer Glocke mit seinem Fressen verknüpft und so den Speichelfluss einleitet. Nach dieser Konditionierung hat der Hund ebenfalls den Speichelfluss eingeleitet, wenn nur die Glocke ertönt ist, auch ohne Fressen. Das Glockenläuten ist der neutrale Reiz, der eine unbedingte Reaktion nach sich zieht – den Speichelfluss. Nach der Konditionierung ist die Glocke der bedingte Reiz und der Speichelfluss die bedingte Reaktion.


Bei der klassischen Konditionierung geht es also darum, dass bei einem Individuum ein bestimmtes Verhalten ausgeführt wird, nachdem ein Reiz konditioniert wurde.


Nehmen wir an, dass der Spieler eine Deckliste von seinem favorisierten YugiTuber kopiert (neutraler Reiz, visuell) und anschließend mit seinen Freunden am Küchentisch spielt. Er gewinnt seine ersten Duelle und seine Freunde loben ihn für sein Deck (unbedingter Reiz, aural, visuell und/oder mechanisch). Der Spieler verbindet das positive Gefühl mit der kopierten Deckliste (bedingter Reiz).


Das genannte Beispiel ist eine Unterart der Konditionierung, nämlich die operante Konditionierung. Über Konsequenzen, wie eine Belohnung in Form von Lob, wird so eine Konditionierung herbeigeführt.


Ein weiteres Beispiel wäre die klassische Aussage „Karte X/Y kam immer so gut“. Durch den mehrfach erfolgreichen Einsatz hat sich der Spieler selbst konditioniert. Natürlich spielen mehrere Vorgänge mit ein, jedoch ist die Konditionierung auch eine Wirkung.


Sich gegen die verschiedenen Arten der Konditionierung zu schützen ist schlicht schwer, da wir es selten direkt mitbekommen, wenn wir konditioniert werden. Eine ausreichende Selbstreflektion ist, nach meiner persönlichen Reflektion, der beste Schutzmechanismus.


Eine Möglichkeit die Konditionierung jedoch loszuwerden, wäre die sogenannte Extinktion. Hier nimmt man den bedingten Reiz her, in unserem Beispiel die Deckliste des YugiTubers, und nutzt diesen ohne einen unbedingten Reiz als Reaktion zu bekommen. Bei uns wäre es das Lob der Freunde am Küchentisch. Die Verbindung zwischen bedingtem Reiz und unbedingtem Reiz wird gekappt, wodurch die bedingte Reaktion nicht mehr auftritt. Dadurch verliert die Deckliste des YugiTuber die Signalwirkung und die Konditionierung ist erfolgreich gelöscht.


Somit wären wir am Ende angelangt, wo ich natürlich hoffe, dass euch der Artikel gefallen hat und ihr einiges mitnehmen konntet. Wenn ihr euch selbst im Artikel wiedergefunden habt, würde ich mich freuen, wenn ihr euch im Diskussionsthread melden würdet.



Als Abschluss ein frohes -800, euer Schreibteam von Hallohallo Card Gaming

:hallo:




Literaturverzeichnis:

Antworten 2

  • Zitat

    Ein weiteres Beispiel wäre die klassische Aussage „Karte X/Y kam immer so gut“. Durch den mehrfach erfolgreichen Einsatz hat sich der Spieler selbst konditioniert. Natürlich spielen mehrere Vorgänge mit ein, jedoch ist die Konditionierung auch eine Wirkung.

    Confirmation Bias sieht man in dem Zusammenhang richtig oft, vor allem bei Anfänger. Man merkt sich nur die Male, in denen Karten X/Y gut kommt (weil dies beweist, das sie gut ist), aber nicht die vielen male, in denen sie extrem schlecht kam. Deswegen wurde auch der berühmte Magic Cylinder so oft gespielt.

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  • Das ist hoch interessant, weil ich tatsächlich früher auch mal so argumentierte. Nur um Jahre später festzustellen das ich absoluten Blödsinn erzählt hatte. Ich bin mir auch sehr sicher das wenn einem eine Karte besonders gut gefällt vom design/Artwork her verstärkt es den Effekt.


    Ich habe auch einen Kumpel der sein "bestes" Deck auf genau dieser Grundlage gebaut hat. Da sind dann Karten wie Magische Zylinder oder Marshmallow drin. Er hat damit ganz selten gewonnen aber wenn dann waren es natürlich die Karten und wir sollten die auch spielen.

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