Wer braucht noch Fallen?

Willkommen zu meinem zweiten Artikel. Diesmal soll es um einen größeren Diskurs über Fallenkarten gehen. Da Fallen aktuell immer mehr an Beliebtheit verlieren, finde ich das ein passendes Thema. Wo Fallen damals noch eine Selbstverständlichkeit waren, werden sie heutzutage immer mehr in Frage gestellt. Vor allem Tempo, geile Starthände, unfaire Kombos und schnelles Gewinnen werden immer höher geschätzt im Gegensatz zu Fallen. Einflussreiche Spieler wie Patrick Hoban ordnen Fallen überzeugt als suboptimale Karten ein. Hype existiert immer, dementsprechend gibt es auch immer mehr Spieler, die solch eine Meinung vertreten, oder zumindest zum Teil, als wäre man nach 15 Jahren YGO erleuchtet worden und nun weiß, Fallen sind ja eigentlich schlecht.


Meiner Meinung sind Fallen etwas äusserst Relatives, die relativsten Karten im Spiel wenn man so möchte. Das bedeutet, Fallen allgemein oder sogar bestimmte Fallen unabhängig zu beurteilen, führt zu nichts bzw hat keinen Wert. Auf den Punkt gebracht: die Außenwelt bestimmt die Spielstärke, nicht die Falle selber. Die aktuellsten Formate jedoch haben Fallen übermäßig in den Schatten gestellt im Vergleich zu früher. Gerade dadurch kann aber schnell ein zu großer Eindruck entstehen, der die öffentliche Meinung über Fallen schlecht beeinflusst. Dabei ist es jedoch nur der "Fluch des Jetzt". Dieser Artikel soll einen Überblick bieten, was tatsächlich die Spielbarkeit von Fallen beeinflusst und aufzeigen, wie viel da überhaupt mit reinspielt. Floodgates werde ich ignorieren, und nur auf "faire" Fallen eingehen.


Ich persönlich denke, dass man das Thema noch viel tiefgreifender behandeln könnte, als ich es in diesem Artikel tue, ich hoffe aber, die wesentlichsten Punkte abzudecken. Ich fange an mit äußeren Faktoren, also wie sieht das Meta aus? Anschließend komme ich zu inneren Faktoren, also in welchem Deck sind Fallen überhaupt eingebettet und unter welchen Umständen?


Äußere Faktoren


Kaliber



Der offensichtlichste Aspekt wäre wohl das Kaliber von Fallen. Fallen geben einem nichts. Stattdessen stehen sie bestimmten Problemen gegenüber, die sie lösen sollen. Sie nehmen also vom Gegner. Soweit, so gut. Wenn aber mein Problem ist, einen Waldbrand zu löschen und ich nur einen Eimer Wasser habe, wird meine "Falle", der Eimer Wasser, nicht zum Erfolg führen. Ein Löschflugzeug schon eher. Nichts anderes ist es in YGO, wenn die Probleme so dermaßen überfordernd sind, dass Fallen nicht mehr mithalten können und obsolot werden. Insbesondere wenn das Powerlevel der Plays, eben genau das, was den Fallen gegenübersteht, sich ins Unermessliche steigert, während Fallen auf der Strecke bleiben, ist das eine logische Konsequenz.


Wäre es heutzutage noch ein gefährlicher Move, den Weißen Drachen per Tributbeschwörung zu bringen, würde man dann nicht den Banhammer bereits für Karten wie Sakuretsu Armor fordern, da sie völlig overpowered wären im Vergleich zu den Plays? Wer halbwegs YGO kennt, weiß natürlich, dass diese Beziehung heute genau umgekehrt steht. Fallen sind heute immer noch Oldschool-Karten, die per Standard 1:1-Abtäusche erzielen. Dies werde ich in Zukunft als Kaliber 0 bezeichnen, weil ein +/-0-Abtausch entstand, Plus/Minus je nachdem ob Vorteil oder Nachteil entseht. Das hat nicht den direkten Sinn, Fachbegriffe zu spammen, sondern einfach, mich kürzer fassen zu können.



Das beste Beispiel ist zweifellos das noch aktuell gewesene PePe-Deck, dessen Karten zu einem erschreckenden Anteil Kaliber 1 oder höher haben und dank zahlreicher Kombinationen mit dem Kaliber weit hinausgehen. Performage Plushfire abused durch Luster Pendulum, the Dracoslayer oder Performapal Pendulum Sorcerer reicht, um Beispiele zu nennen. Als Krönung macht das Deck völlig problemlos von der Pendulummechanik Gebrauch, die, wenn die entsprechenden Karten stark genug sind, eine neue Art von Powerlevel eröffnet. Soul Charge gab damals bereits einen harmlosen Vorgeschmack. Auch, wenn Fallen gewisse Plays im Keim ersticken können, gibt es inzwischen zu wenige zuverlässige Fallen dafür und die Pendulummechanik erschwert es zusätzlich, für Backrow einem Desaster zu entkommen. Obwohl es in YGO schon sehr lange Mechaniken gibt, bei denen aus einer einzigen Karte weitere Karten aus dem Nichts rausspriessen können (Inzektor Dragonfly, Rang3er im Wind-Up, Geargiarmor usw), sind Fallen bis heute noch im Rennen oder wurden sogar exzessiv gespielt. Dabei muss man bedenken, dass sie gegen solche "dreisten" Aktionen im besten Fall 1:1 erzielen, die aufgehaltene Karte hätte jedoch ein unermessliches Potential gehabt im besten Fall und macht einen 1:1-Abtausch im Worst Case. Trotz dieser strikten Benachteiligung wurden Fallen gespielt, und das ist ImO ein ausreichender Beweis, wie wichtig Fallen doch in YGO sind, zumindest prinzipiell.


Diversität



Als zweiter äußerer Faktor behandele ich die Diversität eines Formats. Wie wir wissen, ist nicht jede Falle = Solemn Judgment, sondern ist auf Nischenanwendung begrenzt. Was kann die Falle genau und worauf kann sie reagieren? Effekte? Beschwörungen? Angriffe? Oder kann sie Mehreres oder auch was Besonderes? Fakt ist, keine Falle hat den selben Wert gegen zwei verschiedene Decks, sonst wären sie nicht unterschiedlich. Meistens qualifiziert sich eine Falle dennoch, wenn sie gegen das eine Deck sehr stark ist und gegen andere Decks des Formats weniger stark, dafür aber gut spielbar. Strebt sie jedoch gegen eines oder mehrere Decks den Status unspielbar an, wird es schon schwieriger. In 2013 zum Beispiel war der inhaltliche Abstand zwischen dem Inzektor Deck und dem Dino Rabbit Deck relativ gross, dementsprechend wurden auch unterschiedliche Fallen gegen beide Decks benötigt und der Deckbau bot so einige Dilemmata. Was bringt mir ein Dimensional Prison gegen Inzektor, wenn es sowieso zu ihrem Vorteil das Feld verlassen wird? Fiendish Chain war eine exzellente Karte, da sie niemals tot kam, gegen kein Metadeck. So etwas hilft natürlich auch enorm dem Turniererfolg, im Gegensatz zu Karten, die schlicht und einfach nutzlos sind in bestimmten Match-Ups. Fallen sind daher genau dann am stärksten, wenn die Diversität an Strategien im Format möglichst gering ist.



Während dieses Problem früher noch keine hohen Ausmaße annahm, erlitten Fallen einen entscheidenden Seitenhieb mit dem Erscheinen des Qliphort-Decks. Ein Deck, wogegen das Kontern von Monstern keinen wahren Wert hat, doch gerade darauf sind ja Fallen zugeschnitten. Die Spielbarkeit von violett gefüllten Decks wurde bedeutend eingeschränkt, da man damit riskierte, 25-50% des Decks suboptimal zu haben. Das Sidedeck konnte aushelfen, änderte aber nichts dran, dass Qli-Spiele furchtbar glücksabhängig waren in nahezu jedem einzelnen Duell. Die "Krönung" war natürlich das Erscheinen des Nekroz-Decks, wogegen ironischerweise jede Falle umso besser war, desto nutzloser sie gegen Qliphort war. Nekroz und Qli polarisierten extrem.


Auch in naher Zukunft sehe ich dieses Problem für Fallen vorherrschen. Das Kozmo-Deck ist bereits per se ein Anti-Deck gegen Fallen, und das Monarchen-Deck erhöht die Diversität drastisch, da die Mechanik sich völlig unterscheidet von anderen Decks. Möglichst generische Fallen wie Solemn Strike, Phoenix Wing Wind Blast usw sind die besten Ansätze für solche Probleme.


Innere Faktoren


Passung


Als innerer Faktor stellt sich überhaupt erstmal die Frage, ob Fallen in ein Deck gehören oder nicht. Primär in Kombodecks sind Fallen an sich fehl am Platz, unabhängig davon wie konstant sie sein mögen. Wenn ich zum Beispiel immer eine bestimmte Kombination aus 3 Karten brauche, um überhaupt mitspielen zu können, wird dies am meisten gewährleistet mit einem Deck aus 100% Gebern bzw. Engine-internen Karten, die diese Spielzüge ermöglichen. Fallen sind pure Nehmer, also geben einem für das eigene Spiel direkt nichts. Ich könnte solch ein stark kombolastiges Deck aus 2-3-Karten-Kombos, z.B. Nekroz, mit 20 Fallen aufbauen. Dann wäre überhaupt die Chance, mindestens 3 Komboteile zu ziehen, nicht größer als 50%. Zusätzlich müssen sie passen, was die Wahrscheinlichkeit einer spielbaren Hand noch weiter senkt.


Zusätzlich behindern Fallen den offensiven Stil, den Kombodecks standardmäßig prägen. Man ist auf das Rushen angewiesen, vor allem gegen Nicht-Kombodecks, die sonst drohen, durch ihre höhere Ressourcendecke zu gewinnen. Umso mehr Fallen ich in einem Kombodeck ziehe, desto weniger aggressiv kann ich auch spielen, doch gerade das strebe ich ja mit einem Kombodeck an. Maximal um die 5 Fallen wären in solchen Decks spielbar, alles andere senkt die Konstanz und Spielbarkeit in den Keller runter.



Dieses Argument, häufig auch bezeichnet als "nicht den eigenen Gamestate verbessern können", bildet Anlass für viele Spieler, Fallen prinzipiell abzuweisen. Meiner Meinung ist dieses Argument wertlos, da ich dann auch eine Karte wie Soul Charge als schlecht bezeichnen könnte aus ähnlichem Grund, und das ist offensichtlich Schwachsinn. Warum aber schlecht? Weil Soul Charge eine suboptimale Karte in Nicht-Kombodecks ist. Dort hat es schlicht und einfach keinen großen Wert, den eigenen Gamestate zu verbessern. Sowie Kombodecks Gamestate-Verbesserer (Geber) nötig haben, haben Nicht-Kombodecks eher Nehmer nötig. Dementsprechend wird in beiden Decktypen die jeweils andere Kategorie "schlecht". Es handelt sich also um den inhärenten Nachteil eines Kombodecks, kaum zwischen eigenem Gamestate und Backrow jonglieren zu können. Daran haben Fallen keinerlei Schuld, sondern das Deck selber. Diese Schwäche des Kombodecks zu ignorieren und stattdessen Fallen zu verurteilen, ist daher ein Denkfehler.


Toleranzdecke


Man kann berechtigt meinen, die Spielstärke von Fallen sei auch entscheidend davon abhängig, wie man sie überhaupt einsetzt. Torrential Tribute auf Treeborn Frog hat natürlich einen schwächeren Wert, als wenn ich die Falle für eine andere Beschwörung aufhebe. Neben solchen banalen Sachen gibt es auch viel komplexere Situationen, in denen eine vollkommen richtige Entscheidung bezüglich Fallenverwendung unmöglich ist. Dieses Thema wäre sicherlich einen eigenen Artikel wert, soll hier aber nicht das Thema sein. Viel mehr determiniert schon das Deck, wo Fallen eingebettet sind, deren Spielstärke.



Was ist damit gemeint? Wir nehmen als Beispiel ein imaginäres Deck aus Ojamas, Mystical Shine Ball und 25 Fallen. Solch ein Deck zerbricht bereits an einem Sangan oder einem Manju, the ten thousand Hands. Wir können uns einig sein, dass Sakuretsu Armor auf Sangan ein verschwenderischer Einsatz dieser Falle wäre. In solchem einem Deck wäre aber die Toleranzdecke so dermaßen niedrig, dass es keine andere Wahl hätte, als diesen Abtausch einzugehen. Mit Toleranzdecke meine ich also das Niveau eines Decks, auf dem es sich ohne Fallen befinden würde bzw an welchen Dingen es überhaupt zerbrechen kann. Im Vergleich zu Ojama Yellow bietet beispielsweise ein Kozmo Dark Destroyer schon ein anderes Qualitätsniveau. Tauschen wir also Ojama Yellow gegen Kozmo Dark Destroyer aus, bekommt unsere Backrow einen abartigen Qualitätsschub.


Da es jetzt bereits so wenige Dinge gibt, an denen unsere Feldpräsenz zerbrechen würde, werden logischerweise alle Fallen stärker. Wir können sie aufheben für wenige starke Züge, die uns überhaupt noch stören und müssen sie nicht direkt auf jede mögliche, noch so irrelevante Aktion verschwenden. Insofern wäre die Toleranzdecke auch ein sehr gutes Stärke-Maß eines jeden Nicht-Kombodecks. Umso mehr meine Engine selbst bewältigen kann bzw aushalten kann, desto stärker ist natürlich auch die Engine selbst und gleichzeitig auch die Fallen, die gespielt werden. Daneben ist auch die Frage wichtig, welche Art von Bedrohung überhaupt stört. Ich brauche keine Fallen in einem Deck zu spielen, die nur Probleme lösen, welche sowieso schon mehr als genug von der eigenen Engine gelöst werden, das wäre eine Verschwendung. Hier muss man natürlich auch wieder sagen, dass es völlig formatabhängig sein kann. Ehemalig fand man in Decks wie Dragon Ruler oder Mermail sehr häufig als einzige Falle Breakthrough Skill. Die größte Bedrohung waren nunmal entscheidende Monstereffekte wie derjenige von Abyss Dweller. Dementsprechend war dies auch die spielbarste Falle für solche Decks.


Fazit


Das wäre es erstmal mit meinem kleinen Überblick zu Fallen und dem Drumherum. Die genannten Faktoren können beim Bau und dem Spielen von fallenlastigen Decks eine große Hilfe sein.

Zu guter Letzt gebe ich noch meinen Senf ab zu einem weiteren etablierten Totschlagargument:

"Monster gewinnen Spiele, Fallen nicht."

Zunächst sollte man glasklar vor Augen haben, was es genau heisst, ein Spiel zu gewinnen. Meiner Meinung kann man es heutzutage unterteilen in das klassische Gewinnen, also Gewinnen durch mehr Ressourcen, und die modernere Weise durch einen OTK. Der OTK ist insofern etwas Besonderes, als er das Gewinnen völlig unabhängig von Ressourcen ermöglicht, also auch Spiele gewinnen kann, die ressourcentechnisch als verloren gelten. Dies wäre tatsächlich ein gütltiges Argument gegen Fallen, da Fallen so etwas nicht ermöglichen können. Wenn man es jedoch auf die Ressourcenebene begrenzt, halte ich dieses Argument auf ähnliche Weise wertlos wie die mangelnde Verbesserung des Gamestates. Wenn ich in einem monster-basierenden Deck in einem großen Vorteil bin, kann ich direkt gewinnen mit Monstern, das ist wahr. Angenommen, dem gegenüber stünde das fallenlastige Deck in großem Vorteil. In seinem Worst Case hat es nicht genug oder gar keine Monster, sodass es nicht direkt gewinnen kann. Dies ist ein Unterschied auf dem Papier, jedoch nicht in der Praxis. Wenn ich nämlich keine Monster habe, schiebt es den Sieg lediglich auf, mehr nicht. Da wir als Win-Condition davon ausgehen, dass wir bereits großen Kartenvorteil haben, wird das Aufschieben daran nicht mehr viel ändern. Es wäre lediglich ein Nachteil für ein Aggro-Deck, doch fallenlastige Decks sind per se keine Aggro-Decks.


Ich freue mich auf Verbesserungsvorschläge, Meinungen und Feedback.


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