Beiträge von Blue-Eyed Kisara

    Da du in den Titel der Story den Vermerk abgebrochen eingefügt hast, bedeutet das, dass du die Story nun gar nicht mehr weiterschreibst? Oder postest du sie nur hier im Forum nicht mehr?


    Ich fänd' es ziemlich schade, wenn die Geschichte nicht mehr weitergeht, gerade jetzt wo es so spannend ist :( Die meisten Plots wurden ja noch nicht aufgelöst.

    Aska schrieb:


    Zitat

    Und dass hier niemand mehr kommentiert liegt daran, dass niemand mehr hier unterwegs ist. Der Fanstuff ist tot. Weil keiner mehr interessante Geschichten schreibt. Und nicht zuletzt weil YGO Fanfics auch irgendwie out sind.


    Ganz so heftig würde ich das jetzt nicht sehen. Es sind schon noch Leute unterwegs, aber es ist nunmal so, dass einfach viel mehr Leute Geschichten lesen, ohne zu kommentieren.


    Ich selbst muß auch zugeben, dass ich nicht alles kommentiere, was ich lese.


    Out sind Yu-Gi-Oh Fanfics ganz sicher nicht, es werden immer noch sehr viele geschrieben. Vielleicht solltest du versuchen, die Story zusätzlich noch in einem Fanfiction-Archiv zu posten. Da ist dann vielleicht mehr los, auch was Kommentare angeht.


    Aber für Kommentare gibt es nie eine Garantie, ganz egal wie gut oder schlecht die Story ist. Ich hab' schon Geschichten gelesen, die in jedem Satz fünf Rechtschreibfehler hatten und trotzdem begeisterte Kommentare bekommen haben. Ich würde mich an deiner Stelle nicht entmutigen lassen und trotzdem weiterschreiben. Man schreibt ja auch irgendwo für sich und nicht nur für Kommentare.


    In diesem Sinne ran an die Tasten :)

    …aber Mathe war heut echt langweilig, weil ich das ganze Zeugs eh schon weiß und in Literatur sollten wir die Autoren aus der Meji-Ära auswendig lernen, aber ich konnte mir nur Natsume Soseki merken, weil der nach England gegangen ist, um Englisch zu lernen.


    Wenn ich richtig Englisch lernen will, dann geh’ ich nach Amerika. Die haben da Hamburger und tolle Musik und man darf sogar dann Autofahren, wenn man noch nicht erwachsen ist.


    Du hast versprochen, dass wir nach Amerika gehen, ja das hast du, Nii-sama! Wir gehen nach Amerika und bauen da ein neues Kaibaland. Ein ganz großes mit Spielen und Achterbahnen und auch mit einer Geisterbahn, und alle Kinder, die keine Eltern haben, die ihnen Eintrittskarten kaufen können, die dürfen umsonst rein. Du hast es versprochen. Hast du dein Versprechen vergessen?


    Hast du unseren großen Traum vergessen?


    Bitte, bitte komm zu mir zurück, Nii-sama. Ich vermiss’ dich so sehr.


    Lass’ mich nicht allein, mein Bruder.


    Bitte lass’ mich nicht allein.




    Schicksalsduellanten


    Shukumei no Duelist
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    Zitat

    Author’s Note and Thanks: Ich bedanke mich bei Lace Kyoko, Barrie18, Selena12, Halowing, Tawariell, FrankDark, Vaness1, -Hideyuki- und Alaiya für ihre Kommentare. Und ein Keks geht an Bastet_Cat, die Ägyptologie studiert und mir ein wenig geholfen hat. Was die Antworten auf die Kommentare angeht, so antworte ich auf alle deutschen Reviews auf Deutsch und auf alle englischen Reviews auf Englisch und so wird auch hoffentlich niemand verwirrt sein. Die einzelnen Review-Antworten kommen immer ans Ende eines Kapitels, so bleibt es übersichtlicher.



    Arc I: Duat no Juuni no Tobira
    (Die zwölf Pforten der Unterwelt)



    Chapter 2: Ka Yuugo no Chikara – Minotaurus, Kentaurus, Minokentaurus
    (Die Macht der Ka Fusion – Minotaurus, Kentaurus, Minokentaurus)
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    A mouth I have, but never speak
    My arms stretch far and wide
    A bed I own, yet never sleep,
    I travel day and night.
    Without legs to carry me,
    So, answer now, who may I be?



    Eine Mündung habe ich, doch ich spreche niemals,
    Meine Arme erstrecken sich weit
    Ein Bett besitze ich, doch ich schlafe niemals,
    Ich bin Tag und Nacht auf der Reise.
    Ohne Beine die mich tragen,
    Also antworte jetzt, wer mag ich sein?



    Eine Mündung, Arme, und ein Bett. Was konnte das anderes sein, als ein Fluss?


    Viele Rätsel verwendeten doppeldeutige Begriffe, um damit für Verwirrung zu sorgen. Abgesehen davon würde diese Lösung natürlich auch perfekt dazu passen, dass diese Nilpferd-Torwächterin ihn mit allerhand Blödsinn über Flüsse gelangweilt hatte. Das Einzige, was ihn an dieser doch recht eindeutigen Lösung störte, war die Tatsache, dass dieses Rätsel so viel einfacher war, als das letzte. Als wenn da mit leuchtend gelben Buchstaben Falle draufstehen würde.


    Aber war Taweret nicht eine sehr viel weniger komplizierte Göttin als Horus, geschweige denn Set?


    “Ein Fluss,“ wiederholte er laut und sanfte Wellen liefen über die kristallklare Oberfläche der Tür. Von ihrem Mittelpunkt aus wanderten sie in alle Richtungen, breiteten sich über die gesamte Tür aus. Nur dort, wo sie ihre Reise begonnen hatten, hatten sie ein kleines Viereck unberührt gelassen.


    Er war nicht überrascht, dass das Viereck die Form einer Duel Monsters Karte besaß. Wieder einmal konnte kein Zweifel daran bestehen, was er zu tun hatte, um diese Tür aufzubekommen und seine Reise fortzusetzen.



    * * *



    Bevor er irgendetwas in der Dunkelheit hinter der Tür erkennen konnte, musste er erst einmal seinen Niesreiz unterdrücken. Staub kitzelte ihn in der Nase und der Geruch von altem Papier war so überwältigend, dass sein geistiges Auge bereits eine Bibliothek aufmalte, bevor die Dunkelheit sich verflüchtigte und seine normalen Augen sehen konnten, dass das auch genau der Ort war, an dem er sich befand.


    Die Bibliothek vor seinem geistigen Auge hatte einen Teppich in der Farbe von Blut besessen und Regale, die so hoch waren, dass sie bis in den Himmel zu reichen schienen. Die Bibliothek um ihn herum dagegen hatte nicht einmal Bücher, wahrscheinlich war das Buch überhaupt noch nicht erfunden worden. Stattdessen war der ganze Raum mit Steintafeln und Körben voller Papyrusrollen angefüllt.


    Sogar die Wände waren mit Hieroglyphen bedeckt. Seltsamerweise konnte er fast alles davon lesen, es waren Geschichten über Thoth, den ibisköpfigen Gott des Wissens, der Weisheit und der Naturwissenschaften. Einmal ging es um Thoth’s Geburt aus dem Samen des Horus und dem Kopf des Seth, einmal ging es darum, dass Thoth die Hieroglyphenschrift erfunden hatte, und schließlich wurde Thoth auch als Schreiber des Osiris dargestellt, der beim Totengericht eines Pharao zugegen war. Keine einzige dieser Geschichten erschien ihm neu, er hatte sie alle gekannt, seit er ein Kind war.


    Aber hatte er das wirklich? Waren die Erinnerungen dieses Jungen namens Set wirklich seine eigenen? Sie fühlten sich sehr wirklich an, aber wenn sie real waren, was war dann mit den anderen Bruchstücken in seinem Kopf? Die Bücher zum Beispiel. Set kannte keine Bücher. Oder dieses Gedicht über den Frosch, der in den Teich hüpfte? Nichts davon passte wirklich zusammen.


    Und dann die Firma. Ja, es gab definitiv eine Firma. Wenn er sich nur erinnern könnte, wie sie hieß.


    “Nichts davon passt wirklich zusammen.“


    Er war es tatsächlich. Es war derselbe Junge, der hier mit gekreuzten Beinen auf einem Teppich saß, den Kopf über eine Schriftrolle gebeugt. Er sah jetzt ein wenig älter aus, das lag vermutlich daran, dass er sich die Jugendlocke abgeschnitten und seine Haare hatte wachsen lassen.


    Ein leises Kichern ließ Set den Kopf heben. Er war wirklich um einige Jahre älter als während der letzten – Hmm.. nur ein Idiot würde es Vision nennen – und er verzog unwillig das Gesicht, als er nach der Ursache der Störung Ausschau hielt. Zwei kleine Mädchen verbargen sich hinter einer Steintafel und beobachteten ihn neugierig. Beide waren in einfaches weißes Leinen gekleidet, aber der kostbare Schmuck der Älteren wies sie eindeutig als hochrangige Person aus.


    Obwohl es offensichtlich war, dass ihre Gegenwart Set störte, so konnte er ihr nicht einfach sagen, dass sie verschwinden solle. Offenbar schien ihm aber die höfliche Variante von ’Geh weg’ wieder eingefallen zu sein, denn er verbeugte sich tief und fragte: “Habt Ihr Euch verirrt, königliche Hoheit? Soll ich Euch dabei helfen, Eure Eskorte zu finden?“


    “Nein, sollst du nicht,“ kommandierte die Kleine im Befehlston. “Wir sind froh, dass wir die Langweiler überhaupt losgeworden sind, nicht wahr, Mana?“ Sie stupste ihre Freundin an, welche schon wieder in ein Kichern ausbrach. “Oh, den kenn’ ich doch! Das ist der Schüler, der immer so ein furchtbar ernstes Gesicht macht. Alle anderen Jungs lachen oder lächeln manchmal, aber er lächelt nie. Niemals.“


    “Er lächelt niemals?“ fragte das ältere Mädchen ungläubig. “Also schön.“ Sie wandte sich wieder Set zu. “Lächle! Das ist ein Befehl der Prinzessin.“


    Set antwortete nicht, sah aber auch nicht besonders beeindruckt aus. Er hob das Kinn und blickte sie streng an und in diesem Augenblick schien es ihm vollkommen gleichgültig zu sein, dass er sich unhöflich benahm. Einige Sekunden lang blieb alles still, bis auf das leise Knistern von Papyrus und das Klirren der Armreifen, welche die Mädchen trugen.


    Irgendwann verzog die Prinzessin ihre sorgfältig geschminkten Lippen zu einem Schmollmündchen, welches ihr ansonsten hübsches Gesicht verunstaltete. Genervt zog sie ihre Freundin am Arm: “Schon wieder so ein Langweiler. Komm, Mana, geh’n wir woanders spielen.“ Beide Mädchen wandten sich zum Gehen.


    “Meine Schwester und künftige Königin hat dir einen Befehl erteilt, Tempeljunge!“


    Diese Stimme war es gewohnt, Befehle zu erteilen, auch wenn sie einem Jungen gehörte, der noch weniger Jahre zählte als Set. Und dieser Junge war es auch gewohnt, dass seine Befehle befolgt wurden. Als Set aufstand, um ihm auf gleicher Höhe zu begegnen, stand er reglos da und blickte den anderen kämpferisch an, als fordere er ihn zu einem geistigen Kräftemessen heraus. Dunkle Blicke bohrten sich in die Augen des Gegners wie Raubtiere, die nur auf das kleinste Zeichen an Schwäche warteten.


    Set wandte die Augen nicht ab. Er spürte wie die Wut in ihm hochstieg, wie sie heiß und feurig durch seine Adern rauschte. Einem solch lächerlichen Befehl würde er nicht gehorchen und er würde sich auch ganz bestimmt nicht als Spielzeug für einen verwöhnten kleinen Bengel missbrauchen lassen.


    Selbst wenn dieser Bengel – und daran konnte es gar keinen Zweifel geben – der Kronprinz von Ägypten war.


    “Ich werde lächeln, wenn Ihr mir einen Grund dafür gebt, Horus im Nest.“ Seine Stimme war immer noch leise, aber sein Tonfall blieb hart und klar.


    “Einer meiner Diener wird dich für deine Unverschämtheit bestrafen,“ entgegnete der Prinz mit kaltem Zorn in der Stimme. Er drehte sich auf dem Absatz herum und marschierte von dannen, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen. Set blickte ihm nach, mit blitzendem Triumph in den Augen, denn sein Gegner hatte sich als erster abgewandt. Es war nicht wichtig, was jetzt geschehen würde, wichtig war nur, dass er in dieser Auseinandersetzung den Sieg davongetragen hatte.


    Ja, er hat mich bestrafen lassen...


    Und danach muss er es wohl bedauert haben, denn er hat mir Ringelblumensalbe für meinen Rücken gesandt.


    Aber ich war natürlich viel zu stolz, um sie zu verwenden.



    Er blinzelte, als könne er damit diese seltsamen Bilder und Gefühle aus seinem Geist verbannen, aber natürlich verschwanden diese nicht, auch wenn die Kinder selbst plötzlich nicht mehr da waren. Er war jetzt wieder allein an diesem seltsamen Ort, umgeben von den Überresten einer Vergangenheit, die er nicht mit gutem Gewissen als seine eigene bezeichnen konnte.


    Alles war wieder still, bis auf das Knattern von Papyrus.


    Es war zu diesem Zeitpunkt, als ihm klar wurde, dass das Knattern unmöglich von Papyrus stammen konnte. Das Geräusch war viel zu regelmäßig, so harmonisch wie der sanfte Schlag eines Musikinstrumentes. Es war nicht der Rhythmus, der sich veränderte, sondern nur die Lautstärke. Und das tat sie deshalb, weil das Geräusch nicht an einem Ort blieb, sondern im Zimmer umherwanderte.


    Als es direkt über seinem Kopf zu sein schien, blickte er nach oben und sah eine seltsame Kreatur über sich schweben. Ein winziges Geschöpf, das aussah wie eine Mischung aus einem Vogel und einem Mädchen flatterte auf winzigen Flügeln und blickte ihn dabei aus leuchtenden Knopfaugen an. Den Kopf hielt sie zur Seite geneigt, so wie Vögel es häufig tun, wenn sie etwas eingehend betrachten.


    “Ich heiße jeden Suchenden in diesen heiligen Hallen des Wissens willkommen,“ begrüßte sie ihn mit zwitschernder Stimme. “Ich bin Nebt-Meket, Dienerin des mächtigen Thoth und die Hüterin des zweiten Tores von Duat, der Unterwelt. Wie kann ich Euch zu Diensten sein?“


    “Wie wär’s mit ’ner Fliegenklatsche?“ fauchte er zurück.



    * * *



    Irgendeine innere Stimme warnte ihn davor, so respektlos zu sein, aber er hörte niemals auf innere Stimmen und wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Nein, all diese selbsternannten Götter und Göttinnen würden keinen Respekt von ihm erhalten. Respekt musste man sich erst verdienen. Den bekam man nicht einfach, weil man einen Nilpferdkopf auf den Schultern herumtrug und erst recht nicht, weil man wie wild in einer Bibliothek herumflatterte.


    Er selbst hatte auch um jedes bisschen Respekt kämpfen müssen. Die anderen Jungen im Tempel stammten alle aus reichen und vornehmen Familien. Er dagegen hatte nicht einmal eine Familie. Er hatte nur seinen wachen Geist und seinen brennenden Ergeiz, auf die er sich verlassen konnte und das tat er auch. Wie oft hatte er alle anderen damit geschlagen...


    Nein, zum allerletzten Mal, dies waren nicht seine Erinnerungen. Und trotzdem waren sie im Moment die einzigen Hinweise, mit denen er arbeiten konnte.


    “Es ist mit Sicherheit nicht das Wissen, welches Eurer Seele fehlt.“ Das winzige Geschöpf schwirrte um seinen Kopf herum und landete schließlich auf einer Steintafel. “Eurer Seele fehlt die Weisheit. Ihr seid stur, arrogant, ungeduldig und werdet schnell wütend. Das sind alles Eigenschaften von Menschen, denen es an Weisheit mangelt.”


    “Falsch,“ unterbrach er sie. “Was mir fehlt, ist Wissen, das Wissen darüber, wer ich bin und wie ich hierher gekommen bin. Aber ich wette, diese Informationen stehe deinen ach-so-heiligen Hallen des Wissens nicht zur Verfügung, nicht wahr? Solltest du also rein zufällig einen Teil meines Herzens besitzen, den ich durch irgendeine lächerliche Aufgabe zurückbekommen muss, dann RAUS DAMIT!“


    “Ja, das auch.“ Schnell wie ein Lichtstrahl huschte sie wieder los und schwebte plötzlich vor seinem Gesicht. “Eurer Seele fehlt ein Herz.“


    “Aber denkt doch darüber nach,“ zwitscherte sie in sein linkes Ohr, “was nützt Euch denn ein Herz ohne Weisheit? Natürlich müsst Ihr es irgendwann wieder zusammenbauen. Aber wenn ich Ihr wäre, dann würde ich meine Reise hier mal unterbrechen und die Gelegenheit wahrnehmen, mich zu...“


    “Aber da ich nun mal kein nervtötender surrender kleiner Federball bin, werd’ ich nichts dergleichen tun,“ unterbrach er sie ein weiteres Mal. “Hast du nun ein Stück meines Herzens oder nicht?“


    “Nein, ein Stück Eures Herzens habe ich genaugenommen nicht...“


    “Dann verschwinde und hör’ auf, mich zu nerven!”


    “Ich habe nämlich zwei Stücke.“ Während sie im Kreis um einen Korb herumflog, öffnete sie eine ihrer Krallen, um ihm einen Blick auf eine Art Kristallstück zu gewähren, welches sie mit sich trug. “Nun, eine einzige Aufgabe kann niemals genug sein, um Euch all die Eigenschaften zu lehren, die Euch noch fehlen, aber auch ich bin an die Worte meines Meisters Thoth gebunden, die er vor so undenkbar langer Zeit niederschrieb. Solltet Ihr also meine Prüfung bestehen, so werde ich Euch die Bruchstücke überlassen und Euch zu meinem Tor bringen. Solltet Ihr jedoch versagen, müsst Ihr hier bleiben und die Weisheit studieren. Das ist meine einzige Bedingung.“


    “Einverstanden.“ Einen Moment lang fragte er sich, was die Nilpferdfrau getan hätte, wenn er bei ihrer Prüfung versagt hätte. Vermutlich etwas noch viel Unangenehmeres als langweilige Lektionen über die Weisheit. Aber er hatte nicht versagt und er würde es auch diesmal nicht tun.


    “Folgt mir,“ sagte das Vogelmädchen und sie flatterte hinüber zu dem Teppich auf welchem der kleine Set gesessen und seine Schriftrolle gelesen hatte. Die Rolle lag immer noch da, ausgebreitet auf dem dunklen Stoff, also versuchte das Mädchen sie wegzuziehen, um Platz zu schaffen. Leicht amüsiert sah er dabei zu, wie sie mit ihren winzigen Krallen an dem schweren Papyrus herumzerrte. Sie warf einen ärgerlichen Blick in seine Richtung, als ihr offenbar klar wurde, dass er nicht die allergeringste Absicht hatte, ihr zu helfen. Obwohl es für ihn nur einen Handgriff bedeutet hätte.


    Schließlich gab sie ihre erfolglosen Bemühungen, an der Rolle zu ziehen auf, und kam stattdessen auf die Idee, sie vom Teppich zu rollen. Diese Methode funktionierte dann auch, aber es war immer noch eine mühevolle Arbeit. Er konnte die winzigen Schweißtropfen auf ihrer Stirn sehen, als sie sich schließlich erschöpft auf den Teppich sinken ließ.


    Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Für die nächsten Minuten würde sie viel zu müde sein, um ihn mit ihrem Geflatter zu nerven.


    Die Torhüterin erhob ihre Flügel und ließ einen schrillen Schrei ertönen. Plötzlich erschien ein Bündel hölzerner Stöckchen zwischen ihren Krallen. Sollte das ein Zauber gewesen sein? Und falls ja, warum hatte sie dann keine Magie benutzt, um diese blöde Schriftrolle vom Teppich wegzukriegen?


    Aber es war ziemlich sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum diese Wesen überhaupt irgendetwas taten, also gab er es auf und harrte der Dinge, die sie als Nächstes tun würde.


    “Nun, ihr wisst bereits, dass Ihr hier seid, weil ein Teil Eurer Seele zerstört wurde,“ begann sie. “Ich werde jetzt diese Stäbe dazu verwenden, um damit ein Diagramm Eurer Seele zu legen. Mein Meister Thoth liebt Diagramme über alles, Ihr solltet mal das Diagramm sehen, welches er für die Tabula Smaragdina gezeichnet hat – einfach nur atemberaubend. Na ja, vielleicht ein andermal.“


    Sie legte vier Stäbchen zu einem Quadrat zusammen. “Das erste Quadrat repräsentiert Euren Ba.“


    Einen winzigen Moment lang klang ihm das Wort völlig unbekannt, doch dann erinnerte er sich wieder daran, was es bedeutete. Der Ba. war der Teil der Seele, die einen Menschen zum Individuum machte. Er enthielt die Gedanken und Ideen, sowie den größten Teil der Persönlichkeit. Der Ba wurde normalerweise als menschlicher Kopf auf einem Vogelkörper dargestellt, genaugenommen sah die kleine Torhüterin selbst so aus, als könne sie ein Ba sein. Als sie das vierte Stöckchen niederlegte, glommen die Hölzchen für einen Moment lang auf und das blasse Bild eines Adlers erschien zwischen ihnen. Der menschliche Kopf auf dem Adler war sein eigener, und so war er froh, als das Bild verschwand und er sich nicht mehr selbst in die Augen blicken musste.


    Sie legte vier weitere Stäbchen zu einem Quadrat zusammen. “Das zweite Quadrat repräsentiert Euren Ka.“


    Das Bild eines weißen Drachens erschien auf dem Quadrat und er starrte es an, gebannt von solcher Schönheit. Der Ka war die göttliche Lebenskraft in der menschlichen Seele, eine Art Wächtergeist, der über einen Menschen wachte und ihn beschützte. Aber verschiedene Ka konnten auch in Bäumen, Flüssen oder Seen leben und ein wütender Ka, der in eine Seele hineinfuhr, konnte diese dazu bringen, zu... aber das konnte doch so nicht stimmen! Sein eigener Ka war doch Duos und nicht der weiße Drache. Der Drache war der seltsame Ka, der über seinem Dorf erschienen war, als die Sklavenhalter es niedergebrannt hatten. Der Drache hatte ihn damals gerettet. Was hatte das zu bedeuten?


    Sie legte vier weitere Stäbchen zu einem Quadrat zusammen. “Das dritte Quadrat repräsentiert Euren Ren.“


    Der Ren war der wahre Name einer Person. Solange der eigene Name nicht vergessen wurde, konnte man existieren. Deshalb war es wichtig, seinen Namen in Stein zu meißeln oder ihn auf eine Shenu zu schreiben, eine Kartusche, die man um den Hals tragen konnte. Als die vier Stöckchen zu leuchten begannen, konnte er einen Augenblick lang die Hieroglyphen sehen, die man benötigte, um seinen Namen zu schreiben, aber dann wandelten sie sich plötzlich von Hieroglyphen zu einer anderen Schrift.. dies waren Kanji. In Kanji wurde sein Name ein wenig anders geschrieben, es war jetzt Seto, anstelle von Set, aber trotzdem immer noch derselbe Name. Plötzlich erinnerte er sich daran, dass er wohl auch einen Nachnamen haben musste, aber dieser konnte kein Teil seiner Seele mehr sein, da er eines Tages beschlossen hatte, ihn zu vergessen. Aus irgendeinem Grund, den er nicht kannte, hatte er den Nachnamen mit dem er geboren worden war, vollständig aus seinem Leben gestrichen.


    Sie legte vier weitere Stäbchen zu einem Quadrat zusammen. “Das vierte Quadrat repräsentiert Euren Sheut.“


    Er konnte sehen, wie sich für wenige Sekunden ein Schatten auf dem Quadrat manifestierte, eine schattenhafte Silhouette seiner selbst. Der Sheut war der Schatten, er folgte jedem Lebewesen, wohin auch immer es ging, klebte daran wie eine Geistversion von etwas Lebendigem. Kein Mensch konnte ohne seinen Schatten existieren, wohl aber der Schatten ohne den Menschen...


    “Jetzt habe ich leider keine Stäbchen mehr übrig,“ sagte sie. “Aber Eure Seele ist immer noch unvollständig.“


    “Nun, wir haben ja schon festgestellt, dass ich kein Herz mehr besitze,“ gab er zur Antwort. Er fühlte sich müde, so unglaublich müde. “Oder kein Ib, wie du’s wahrscheinlich nennen würdest. Ohne Ib sollte ich nicht mehr in der Lage sein zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, was mir eine wunderbare Entschuldigung dafür liefern würde, dich einfach zu packen und dich in meiner Faust zu zerquetschen. Ohne Herz sollte ich aber nicht mehr in der Lage sein, etwas zu fühlen, das bedeutet, dass ich gar nicht erst das Bedürfnis verspüren sollte, dich zu packen und in meiner Faust zu zerquetschen. Dieses Bedürfnis verspüre ich aber, was mir wieder einmal beweist, dass das alles hier vollkommen, absolut, ganz und gar SINNLOS IST!“


    “Eure Aufgabe ist es, Eure Seele zu reparieren,“ erklärte sie völlig unbeeindruckt von seinem Ausbruch, “aber für den Moment genügt es mir, wenn Ihr erst einmal das Diagramm repariert. Fügt ein fünftes Quadrat hinzu, welches Euer Ib repräsentiert. Ich habe nur zwei Stückchen davon und deshalb dürft Ihr auch nur zwei der Stäbe bewegen.


    “Hmm.“ Er beugte sich über das Diagramm. Es gab genau vier Quadrate, das erste und dritte davon lagen in der oberen Reihe und das zweite und viert in der unteren. Da sie sich nur an den Ecken berührten, bildeten sie eine Art Zickzackmuster.


    Zwei Stäbchen hatte sie gesagt. Aber sobald er eines der Stäbchen bewegte, würde er sofort ein Quadrat zerstören. Das bedeutete, dass er genaugenommen nicht eines, sondern zwei neue Quadrate würde erschaffen müssen, um am Ende fünf zu haben. Und das Ganze mit nur zwei Stäbchen.


    Nun, für ein Quadrat brauchte man natürlich vier Stäbchen, aber für zwei brauchte man keine acht, sondern nur sieben. Zwei nebeneinanderliegende Quadrate konnten sich schließlich auch eine Wand teilen. Der Platz zwischen dem ersten und dem dritten Quadrat war bereits mit drei Stäbchen umlegt, ebenso wie der Platz zwischen dem zweiten und dem vierten. Er brauchte also nur zwei Stäbchen, um aus ihnen vollständige Quadrate zu machen.


    “Heureka.“ Er nahm zunächst das obere Stöckchen des dritten Quadrats, um die Lücke zwischen dem ersten und dritten Quadrat zu schließen und danach das rechte Stöckchen des dritten Quadrats, um die Lücke zwischen dem zweiten und vierten Quadrat zu schließen. Auf diese Weise hatte er das dritte Quadrat eliminiert, aber gleichzeitig zwei neue geschaffen. “Genaugenommen gibt es sogar zwei Lösungen,“ erklärte er, “ich hätte stattdessen auch das untere und das linke Stäbchen des zweiten Quadrats nehmen können.“


    “Brillant!“ Die Torhüterin hüpfte auf und ab und plusterte dabei ihr Federkleid auf. “Seid Ihr sicher, dass ich Euch nicht zum Bleiben überreden kann?“ fragte sie mit großen glänzenden Augen.


    “Zweihundertprozentig sicher,“ blaffte er sie an. “Und jetzt her mit den Stücken!“


    “Diese Tür,“ sie trippelte an der Wand entlang und formte dadurch den Umriss einer Tür,“ führt Euch aus der Bibliothek in den Hof des Tempels. Dort werdet Ihr alles finden, was Ihr benötigt. Oh, und ein wichtiger Hinweis noch: Nur eine der drei Aussagen ist richtig. Die beiden anderen sind falsch.“



    * * *



    Von draußen hörte er Stimmen, als er durch die Tür in der Wand trat, die so unschuldig wirkte, als wäre sie schon immer dort gewesen. Er erinnerte sich sogar daran, dass er sie nicht zum ersten Mal benutzte. Oder besser gesagt, der kleine Set hatte sie benutzt, während er Schüler dieses Tempels gewesen war. Draußen im Hof hatten sie schließlich auch Unterricht gehabt, ganz besonders, was die Kampfkunst anging. Damals hatte es einen Jungen gegeben, Ramses mit Namen, der es sogar geschafft hatte, Set ein paar Mal zu besiegen. Er war schnell und stark und führte sein Khopesh wie einen tödlichen Blitz.


    Der einzige andere Schüler, den er als seinen Rivalen ansah, war Mahaad. Als enger Freund des Prinzen wurde Mahaad mit diesem gemeinsam im Palast unterrichtet, doch er kam häufig zum Tempel, um dort die Bibliothek zu benutzen oder besondere Aufträge für die Priester zu erledigen. Er war besonders geübt in der Kunst der Magie und hatte einen unglaublich mächtigen Ka, den Magier der Illusionen.


    Nach einem weiteren Schritt nach draußen konnte er sie alle drei sehen. Ramses hatte bereits sein Khopesh gezogen und war in Kampfposition gegangen. Mahaad sprach mit leiser, eindringlicher Stimme auf etwas oder jemanden ein, das oder den er von seiner Position aus nicht sehen konnte. Set stand ein wenig abseits, er hatte offenbar noch keine Entscheidung getroffen, wie er am besten vorgehen würde.


    Auf einem Balkon über dem Hof stand eine Gruppe Priester und observierte die ganze Situation. Sie sprachen leise miteinander und beobachteten die drei Schüler genau.


    Gegenüber der drei Jungen stand ein Pferd.


    Unruhig trabte das Tier hin und her und scharrte mit seinen Hufen herum. Seine Augen waren vor Angst weit hervor getreten, seine Ohren nach hinten gewandt, und Schaum bedeckte sein offenes Maul, als es ein angstvolles Wiehern ertönen ließ. “Steckt endlich Euer Schwert weg, Ramses,“ tadelte Mahaad, “es besteht kein Grund, diesem armen Geschöpf etwas zuleide zu tun.“


    “Ihr habt kein Recht, mich herumzukommandieren,“ fing Ramses an, doch ein weiteres Geräusch unterbrach den beginnenden Streit. Die goldene Dia-Diankh an Set’s Arm hatte sich plötzlich geöffnet. “Diaha! Erscheine, Duos!“


    “Set hat recht, es muss ein böser Ka sein! Er ist es, der die Stute verrückt macht.“ Die goldenen Plättchen von Mahaad’s Dia-Diankh fächerten sich ebenfalls auf. “Diaha! Ich beschwöre dich, mein Magier der Illusionen!“


    “Diaha! Ich rufe dich, Engelsritter Perseus!“ Hastig steckte Ramses sein Schwert weg und setzte seine Dia-Diankh in Kampfposition.


    Eine blaue Flamme brach mit solcher Wucht aus Set’s Brust hervor, dass dieser beinahe zurückstolperte. Duos war ein mächtiger Krieger, seine leuchtenden Flügel reflektierten das Sonnenlicht, und die Rüstung, welche seinen Körper bedeckte, funkelte wie blauer Kristall. Der Auftritt des Magiers war weniger spektakulär, dafür geheimnisvoller. Er trat hinter Mahaad hervor, umweht von seinen schattenhaften violetten Roben. Im nächsten Moment wurde jedoch alle mit Federn bedeckt, als der Engel Perseus in einem strahlenden weißen Licht erschien, welches Ramses umgab.


    Das Pferd machte noch einen weiteren Schritt und sank dann bewusstlos zu Boden, umgeben von einer seltsamen Aura aus rotem und grünem Nebel.


    “Jetzt gibt’s Ärger,“ rief Ramses.


    Eine Kreatur galoppierte auf die drei Jungen zu. Ihr Unterleib sah haargenau so aus wie das Pferd, von dem sie noch vor wenigen Minuten Besitz ergriffen hatte, vier stampfende Hufe und ein langer Schweif, welcher aggressiv durch die Luft peitschte. Aber der Oberkörper des Ka war der eines Mannes mit wilden feurigen Augen. Er schwang seine Sense nach Set, den er im vollen Galopp als ersten erreichte, aber Set gelang es, sich unter dem Schlag hinwegzuducken. Duos sprang sofort dazwischen und blockte die nächste Attacke mit seinem Schwert.


    “Aura Schwert!“ befahl Set. Der Zentaur sprang zur Seite, als der Angriff kam und rannte als nächstes auf den Magier los, welcher damit begonnen hatte, einen Zauber zu murmeln.


    “Schützt mich,“ bat Mahaad die anderen. “Ich brauche nur ein paar Minuten.“


    “Nein,“ protestierte Ramses, und Set fügte hinzu: “Jeder kämpft für sich. Es kann nur einen Sieger geben.“


    “Ihr seid Narren, alle beide.“ Mahaad konnte nur schweigend den Kopf schütteln, als der Zentaur versuchte, den Magier zu packen. Der Magier verschwand, um sich nur wenige Sekunden später an anderer Stelle zu materialisieren, aber sein Zauber war natürlich unterbrochen worden.


    Engelsritter Perseus trat nach vorne und griff den Zentaur an. Während ihre Waffen wieder und wieder aufeinander klirrten, wurde Ramses so vom Kampfesfieber mitgerissen, dass er die Bewegungen seines Ka imitierte. “Schnapp ihn dir, Perseus, ich weiß, du kannst es schaffen!“


    “Nein, kann er nicht,“ spottete Set. “Ihm werden ja schon die Arme lahm.“


    “Kann er doch.“ Ramses presste beide Hände gegen die Brust. “Ich werde ihn mit der Macht meines Ba unterstützen.”


    “Nehmt nicht zu viel davon, es könnte gefährlich werden,“ warnte Mahaad, aber Ramses schien ihn nicht einmal zu hören. Goldenes Licht strömte aus seiner Brust, wurde durch die Plättchen der Dia-Diankh gebündelt und erfüllte Perseus mit neuer Kraft. Einen Augenblicke lang schien es tatsächlich zu wirken, Perseus gewann an Stärke dazu und trieb den Zentauren zurück. Aber nach einem besonders heftigen Schlag der Sense brach Perseus in die Knie und Ramses ebenfalls.


    “Hört auf, Ramses, hört auf! Es reißt Euch sonst die Seele heraus!“ Mahaad lief zu dem anderen Jungen hinüber und hielt ihn fest, während der Magier einen Schild aufbaute, um sie beide zu schützen. “Atmet. Ganz tief durchatmen. Zieht Eure Kraft langsam zurück. Es hilft, wenn Ihr an Wasser denkt, welches im Boden versickert. Zieht sie Tropfen für Tropfen zurück, ja ganz genau so. Es kommt alles wieder in Ordnung.“


    “Es wird langsam Zeit, dass ich es zu Ende bringe!“ Set hob seine Dia-Diankh. “Ich beschwöre Minotaurus aus dem Tempel der Weiju.”


    “Zwei Ka gleichzeitig? Ich hoffe der Kerl weiß, was er tut,“ murmelte Ramses als sich ein heller Lichtstrahl über den Himmel zog. Minotaurus manifestierte sich neben Duos und nun begannen beide Kreaturen, den Zentaur gleichzeitig anzugreifen.


    “Ich kenne deinen Namen.“ Nicht einen Augenblick lang wandte Set seine Augen vom Kampfgeschehen ab. “Du bist Kentaurus.“


    Die Waffe des Zentaurs fiel klirrend zu Boden. Er drehte sich von Duos und Minotaurus weg und wandte sich stattdessen Set zu.


    “Ja, das ist richtig, ich habe dich beim Namen gerufen,“ schrie Set. “Gehorche mir, Kentaurus! Komm zu deinem Meister!“


    Kentaurus kämpfte dagegen an. Er machte einen Schritt in Set’s Richtung, aber dann bäumte er sich plötzlich auf seinen Hinterbeinen auf und ließ ein wildes Wiehern ertönen. Minotaurus hob wieder seine Kampfaxt, aber Set befahl ihm, nicht anzugreifen, während Kentaurus immer noch mit sich rang. Duos stand auf der anderen Seite und sah dem Kampf zu, griff aber nicht ein.


    Plötzlich gab Kentaurus einen schrillen Kampfschrei von sich und schwang seine Sense nach Minotaurus, der die Attacke mit der Axt abwehrte. Aber dann geschah etwas Seltsames. Anstatt ihren Kampf fortzuführen, standen beide Ka Geister reglos da, als könnten sie sich nicht voneinander lösen. Eine schimmernde Lichtaura hüllte sie beide ein, ein Licht so grell, dass alle Anwesenden geblendet die Augen schließen mussten.


    Als das Licht verblasste, waren beide Ka verschwunden. An ihrer Stelle stand ein dritter Ka mit dem Unterleib eines Pferdes und dem Oberkörper des Minotaurus. Er war größer als die beiden anderen und auch seine Rüstung war mächtiger, sie glänzte rot und blau über seinen Muskeln und aus den Nasenlöchern seines Stierkopfes trat schwarzer Rauch aus. Sogar die beiden Waffen waren miteinander verschmolzen, der neue Ka trug eine Mischung aus Axt und Sense.


    “Minokentaurus.“ Set sprach den Namen so kalt und gleichmütig aus, als würde er kein gewaltiges Monster bezeichnen, das grollend auf ihn zustampfte. “Auf die Knie, Minokentaurus! Gehorche meinem Befehl!“


    Die Kreatur stand jetzt direkt vor ihm, sie überragte ihn um beinahe das Doppelte. Schnaubend blickte sie auf ihn hinunter und ihre Augen flackerten.


    Und dann sank das gewaltige Geschöpf zu Boden. Einer der Priester, die auf dem Balkon standen, verwendete einen Energiestrahl aus seiner eigenen Dia-Diankh, um die beiden Ka wieder zu teilen und in Steintafeln zu verbannen.


    Set stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus und fühlte, wie Triumph in sein Herz strömte. Wieder einmal hatte er einen Kampf gewonnen. Er war derjenige gewesen, der den neuen Ka letztendlich besiegt hatte, und so würde er auch die Kontrolle über ihn bekommen. Kentaurus’ Steintafel würde neben der von Minotaurus im Weiju Tempel stehen, in seinem Tempel. Er gebot jetzt über zwei mächtige Ka Geister neben seinem eigenen und die beiden konnten sogar fusionieren. Es war wirklich unglaublich. Er hatte sein Wort gehalten, das er damals seiner Mutter gegeben hatte, er war wirklich der beste Schüler im Tempel geworden. Keiner konnte ihn schlagen.


    “Was für ein Kampf.“ Mit Mahaad’s Hilfe schaffte es Ramses, wieder auf die Beine zu kommen, wenn er auch noch ziemlich wackelig dastand. “Ich schulde Euch was, Mahaad.“


    “Ihr müsst mir nicht danken.“ Mahaad lächelte. “Geht’s wieder? Dann werde ich jetzt mal die Stute in die Stallungen bringen. Nach dem Schrecken könnte sie etwas Ruhe vertragen.”


    “Wir sollten ihr auch etwas zu fressen und vor allen Dingen Wasser geben. Und merkt Ihr, wie verschwitzt sie ist? Wenn wir sie mit Stroh abreiben, dann erkältet sie sich nicht.“


    “Ihr kennt Euch mit Pferden aus?“


    “Mann, ich hab’ Reiten gelernt, bevor ich laufen konnte. Wir sollten mal ausreiten, wie wär’s morgen nach dem Unterricht?“


    “Klingt gut, Ramses. Ich will ja nicht angeben, aber ich selbst bin auch kein so schlechter Reiter.“


    “Oh, wir werden sehen, wie gut Ihr seid, wenn ich Euch rund um den Palast jage...“


    Set blickte ihnen beiden hinterher und konnte nicht verstehen, warum sich sein Sieg plötzlich nicht mehr wie ein Sieg anfühlte. Es schien, als hätten Mahaad und Ramses heute etwas anderes gewonnen. Etwas, das mehr wert war, als alle Siege dieser Welt.


    Was für ein Blödsinn. Er schob diese seltsamen Gedanken von sich weg. Die beiden suchten sich nur etwas zu tun, damit sie nicht die ganze Zeit über ihre Niederlage nachgrübeln mussten. Sie waren Verlierer, alle beide. Sie waren es nicht wert, dass er seine Zeit mit ihnen verschwendete.


    Ich tue es schon wieder.


    Ich lasse mich von diesen seltsamen Visionen einfangen.


    Einer der Priester, die auf dem Balkon standen, blickte ihm mitten in die Augen. Nicht die Augen des kleinen Set – nein, der Priester blickte tatsächlich ihn an. Es war einfach nur lächerlich, die Leute in den Visionen konnten ihn doch überhaupt nicht sehen. Sie verhielten sich einfach so, wie sie sich damals eben verhalten hatten. Sie konnten doch gar nicht wissen, dass er überhaupt existierte, aber...


    Der Priester blickte ihn immer noch an.


    Aber schon im nächsten Moment war er sich sicher, dass er sich das nur einbildete, denn alle Priester wandten ihre Aufmerksamkeit Set zu, um ihm zu seinem Sieg zu gratulieren. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber er verspürte auch nicht wirklich das Bedürfnis näher zu treten, um es herauszufinden. Einige Minuten später verblasste die Vision und er fand sich allein in einem leeren Hof wieder.


    Alles war wie vorher, bis auf die beiden Karten, die Seite an Seite vor ihm im Staub lagen. Er hob die erste davon auf und las:



    ------------------------------------------


    MINOTAURUS
    (Minotaur)
    Kampfochse


    * * * * Erde (Chi )


    [Ungeheuer-Krieger]


    Ein Monster mit ungeahnten
    Kräften; es zerstört Feinde mit
    einem Axthieb...


    [ATK/1700] [DEF/1000]


    --------------------------------------------



    Dann wandte er sich um, und hob auch die zweite Karte auf. Er war nicht überrascht, als er las:



    ------------------------------------------


    KENTAURUS
    (Zentaur)
    Mystischer Reiter


    * * * * Erde (Chi )


    [Ungeheuer]


    Halb Mensch, halb Pferd –
    dieses Monster ist berühmt
    für seine große Schnelligkeit.


    [ATK/1300] [DEF/1550]


    --------------------------------------------



    Zwei Stücke seines Herzens, das bedeutete zwei neue Karten für sein Deck. Allmählich wurde seine Brusttasche ziemlich voll, bald würde er sich eine neue Transportmöglichkeit überlegen müssen, wenn er keine geknickten oder abgewetzten Ecken haben wollte. Warum konnte es in dieser Welt nicht auch Schutzhüllen geben? Das würde jede Menge Schwierigkeiten ersparen.


    Damals in den alten Zeiten hatte die Tür am Ende des Hofes nur in die Halle geführt, in der die Priester, Novizen und Schüler ihre Malzeiten zu sich nahmen. Aber aus irgendeinem Grund war er sich sicher, das diese Tür und keine andere den Ausgang darstellte. Sie sah aus wie eine ganz normale Holztür, bis auf die beiden einfachen Zeichnungen, die sie schmückten. Ein Zentaur und ein Minotaur und unter den beiden Bildern waren kleine Einbuchtungen für die Karten zu sehen.


    Gab es diesmal gar kein Rätsel? Es erschien beinahe zu einfach. Irgendeinen Haken musste es geben.


    Und den gab es auch. Kaum hatte er die Karten an ihren jeweiligen Platz gelegt, erschien ein drittes Bild auf der Tür. Es war der Minokentaurus, das Fusionsmonster aus den beiden anderen. Auch seine Karte musste also in die Tür eingesetzt werden. Aber im Moment befand sie sich gar nicht in seinem Besitz.


    Er sah sich um. Vielleicht lag die dritte Karte auch irgendwo am Boden und war nur unter dem Sand verborgen.


    Und dann erblickte er die drei Truhen. Alle hatten sie verschiedene Farben und auf jeder von ihnen stand eine Aussage.




    Orangefarbene Truhe
    Minokentaurus befindet sich in dieser Truhe.


    Violette Truhe
    Minokentaurus befindet sich nicht in dieser Truhe.


    Gelbe Truhe
    Minokentaurus befindet sich nicht in der orangefarbenen Truhe




    Tsuzuku (…to be continued)




    Verloren…


    Es kann nicht sein… es kann einfach nicht sein. An meinen Drachen hätte er niemals vorbeikommen dürfen. Sie sind die stärksten, die mächtigsten Monster. Mein Deck war perfekt, meine Strategie fehlerlos. Ich hatte alles vorausgeplant, war auf jeden möglichen Zug vorbereitet.


    Außer auf diesen. Exodia...


    Dies hätte meine Schlacht werden sollen. Mein Sieg. Mein Triumph über meinen Feind, denjenigen, der es gewagt hat, sich mir entgegenzustellen und mir die Straße zum Ruhm zu versperren. Der einzige Duellant, der mich jemals besiegt hat.


    Zweimal…


    Ich kannte die Risiken, ich wusste genau, worauf ich mich einlasse. Ein Duell bedeutet entweder den Sieg und das Leben oder die Niederlage und den Tod. So einfach ist das.


    Also, Yuugi…


    Hast du den Mut, mir das Leben zu nehmen?


    Oder bist du nur ein schwacher kleiner Feigling, der meine Duel Box für sich die Drecksarbeit machen lässt?




    Schicksalsduellanten


    Shukumei no Duelist
    (Duelists of Fate)
    ----------------------------------






    Arc I: Duat no Juuni no Tobira
    (Die zwölf Pforten der Unterwelt)



    Chapter 1: Inochi wo Ataeta – Holy Elf no Shukufuku
    (Diejenige, die das Leben gab – Segen der heiligen Elfe)
    -------------------------------------------------------------------------------




    WENN DIE BEIDEN SCHICKSALSDUELLANTEN MITEINANDER VERSÖHNT SIND, ÖFFNET SICH DAS TOR ZUR EWIGKEIT.


    Türen öffneten sich normalerweise nicht vom Anstarren.


    Dies war eindeutig ein Rätsel, und in seinem Kopf hatte es bereits angefangen, heftig zu arbeiten. Zwei Schicksalsduellanten; diese beiden Duellanten waren mit Sicherheit die beiden Gestalten mit den Tierköpfen, die auf der Tür abgebildet waren. Und wenn diese beiden Krieger miteinander versöhnt werden sollten, musste das bedeuten, dass eins der sieben Bilder ein Symbol für ihre Versöhnung darstellte.


    Nun, das schloss die gekreuzten Schwerter erst einmal aus. Gekreuzte Schwerter waren üblicherweise ein Symbol für den Kampf.


    Wer waren diese Duellanten überhaupt? Ein Falke... ein falkenköpfiger Gott... mit einem Mal schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, ein Wort in einer fremden Sprache, und doch schien er mit dieser vertraut zu sein.


    Heru. Falke. Natürlich Horus, der falkenköpfige Sonnengott.


    Im nächsten Augenblick ergab alles plötzlich einen Sinn. Bilder blitzten durch seinen Geist wie die wirbelnden Farben eines Kaleidoskops. Horus war der Gott des Lichts, der Gott der aufgehenden Sonne, und in seiner dreieinigen Form Ra-Horakhty-Atum fuhr er mit der Sonnenbarke durch den Himmel. Er war Horus am Morgen, Ra zur Mittagsstunde, und Atum bei Sonnenuntergang, wenn die Barke von der Großen Schlange Apep, dem Gott des Bösen und der Zerstörung verschlungen wurde. Anschließend fuhr die Barke durch Duat, die Unterwelt, nur um am Morgen wiedergeboren zu werden, wenn Horus den finsteren Apep im Kampf besiegte. Ein ewiger Zyklus von Leben und Tod.


    Apropos, Sonne und Mond stellten zusätzlich die beiden Augen des Horus dar. Das Licht des Mondes war schwächer als das der Sonne, da Horus im Kampf gegen seinen Todfeind Set eine Verletzung am Auge erlitten hatte.


    Tatsache, alle Bruchstücke passten so wunderbar zusammen, dass man sich schon wieder fragen konnte, wo nun eigentlich der Haken lag. Horus und Set waren die beiden Schicksalsfeinde auf dieser Tür und alle sieben Symbole hatten etwas mit ihnen zu tun. Das Auge und die Sonnebarke waren Symbole des Horus. Das Zepter gehörte zu Set, denn Set’s traditionelle Waffe war das Zepter der Macht, das sogenannte Was. Er konnte furchtbare Magie damit bewirken.


    Hmm... das Nilpferd, das war weniger einfach. Nilpferde repräsentierten normalerweise Taweret, die Schutzgöttin der Geburt oder ihr dämonisches Gegenstück Ammut, die große Fresserin der Herzen. Aber halt... gab’s da nicht irgendeine Geschichte über Set und Horus, die sich in Nilpferde verwandelten? Es war eine der vielen Episoden ihres jahrzehntelang andauernden Kampfes. Die beiden Götter verwandelten sich in diese Tiere und sanken auf den Grund des Nils, um herauszufinden, wer von ihnen beiden seinen Atem länger anhalten konnte.


    Ergo repräsentierte das Nilpferd ebenso wie die gekreuzten Schwerter den Kampf, und nicht die Versöhnung.


    Die Düne und die Weizenähre waren nicht schwer zu interpretieren. Set war König über die Wüstenregionen von Oberägypten, während Horus über das fruchtbare Nildelta von Unterägypten herrschte. Betrachtete man den Krieg der Götter in einem politischen Zusammenhang, konnte es sich also durchaus um einen Konflikt zwischen diesen beiden Kulturen handeln, vielleicht religiöser oder auch militärischer Art. Nachdem Ägypten vereint war, trug jeder neue Pharao die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten. Oft gab es auch Darstellungen von Set und Horus, die links und rechts neben dem Pharao standen und ihm ihre jeweilige Krone aufs Haupt setzten. Eine Doppelkrone wäre also ein passendes Symbol gewesen, aber so einfach machte es ihm das Rätsel nicht.


    Er war schon drauf und dran, sich zu wundern, woher all dies unerwartete Wissen so plötzlich hergekommen war, aber da es ihm noch nicht dabei geholfen hatte, das Rätsel zu lösen, wäre dies ohnehin nur Zeitverschwendung gewesen. Set und Horus waren Feinde, unerbittliche Rivalen, die einander um die Königswürde bekämpften, und vielleicht sollte es einfach keine Versöhnung zwischen ihnen geben.


    Wohin sollte diese alberne Tür auch führen? Und warum sollte er überhaupt durch sie hindurch gehen, wenn er doch auch einfach außen herumgehen konnte? Würde sie etwa woanders hinführen, wenn sie sich geöffnet hatte? Schon wieder etwas an diesem seltsamen Ort, das überhaupt keinen vernünftigen Sinn ergab.


    Nun, es ist nicht zu ändern, also noch mal von vorn.


    Das Auge, die Sonnenbarke und die Weizenähre waren Symbole für Horus, das Zepter und die Sanddüne waren Symbole für Set, und die Schwerter und das Nilpferd wiesen auf ihren immerwährenden Kampf hin.


    Hmm... das war doch ein Symbol zu viel auf Horus’ Seite. Folglich musste eins der drei Symbole auf beide Götter hinweisen, damit es wieder ausgeglichen war. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit konnte das nicht die Ähre sein, denn Set war dafür die Düne zugeordnet. Diese beiden stellten ein Gegensatzpaar dar.


    Bildeten Auge und Zepter ebenfalls ein solches Gegensatzpaar? Beide repräsentierten die Macht ihres jeweiligen Gottes. Oder waren es eher Zepter und Barke?


    Hatten sich Set und Horus jemals wirklich versöhnt? Gut, sie hatten einmal das Kopfkissen miteinander geteilt, aber das konnte man wohl kaum als Versöhnung werten, da es eine Kriegstaktik gewesen war. Set hatte Horus verführt, um dadurch seine Macht über den anderen Gott zu demonstrieren. Und Horus war darauf eingegangen, hatte aber am Ende durch eine Intrige seiner Mutter Isis triumphiert. Genaugenommen hätte Set höchstwahrscheinlich den gesamten Krieg gewonnen, wenn Isis sich nicht ständig eingemischt und ihm Steine in den Weg gelegt hätte. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über uralte Götter und ihre Zankereien den Kopf zu zerbrechen, und außerdem interessierte ihn das alles kein bisschen!


    Isis, diese intrigante, zweigesichtige Schlange!


    Und er war immer noch keinen einzigen Schritt weitergekommen, endlich diese dämliche Tür aufzukriegen.


    Rivalen waren eben Rivalen und Duellanten waren Duellanten. Sie legten nicht einfach ihre Feindschaft ab und wurden ein Team. Gut, wenn sie ein Tag-Team-Duell gegen andere Duellanten bestreiten mussten, war das natürlich etwas anderes. Die beste Möglichkeit, zwei Krieger zu vereinen, war ein gemeinsamer Feind. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Hatte Sun Tzu das nicht geschrieben? Nun, das nicht, aber die Tatsache, dass er über Dinge wie Sun Tzu und Tag-Team-Duelle Bescheid wusste, war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass seine Erinnerung langsam wiederkehrte. Auch all dies unerwartete Wissen über Ägypten spielte sicherlich eine Rolle.


    Und was dieses jämmerliche Rätsel anging, so war es nicht mehr als ein Kinderspiel, seiner Aufmerksamkeit nicht würdig. Ohne noch länger Zeit und Nerven zu verschwenden, zog er die Karte aus seiner Brusttasche und legte sie in die Vertiefung der goldenen Sonnenbarke. War’s das, Horus? Du möchtest also die Götter beherrschen, kannst aber nicht einmal die Finsternis des Apep besiegen, wenn Set nicht an deiner Seite kämpft. Ohne Set’s Macht würde es niemals wieder einen neuen Morgen geben!


    Der sanfte Schein, der von der Tür ausging, erstrahlte plötzlich in hellem Glanz und eine feine Linie aus Licht erschien, welche sich wie ein goldener Rahmen um die ganze Tür herumzog. Die Linie wuchs weiter, spaltete die Mitte des Tores in zwei Flügel, welche langsam aufschwangen und den Weg zu einem Durchgang freigaben.


    Bevor er hindurchging, nahm er die Duel Monsters Karte wieder aus dem Stein und steckte sie zurück in die Tasche seines Hemdes.




    * * *



    Der erste Eindruck, der seine Sinne berührte, war kein Bild, sondern ein Geräusch, ein sanftes Rauschen, welches sein Bewusstsein automatisch mit Wasser in Verbindung brachte. Zeilen eines Gedichts formten sich in seinem Geist, triviale Worte über Frösche, die in alten Teichen herumhüpften. Eine Frauenstimme rezitierte diese Worte wieder und wieder wie einen Zauberspruch, während eine zweite Stimme, die eines Kindes, eifrig versuchte, sie nachzuplappern.


    Er tat diese Gedanken als unwichtig ab, da sie ihm für seine jetzige Situation bedeutungslos erschienen. Aber der warme Tonfall der Stimme verharrte noch für eine Weile in seinem Bewusstsein, selbst nachdem er die eigentlichen Worte schon längst wieder vergessen hatte.


    Als er nach unten blickte, sah er, dass er auf einem runden, flachen Stein in der Mitte eines riesigen Flusses stand. Zumindest die Strömung deutete daraufhin, dass es sich um ein fließendes Gewässer handeln musste. Von den Ausmaßen allein hätte es auch ein See oder sogar ein Meer sein können. Ein Ufer war jedenfalls nicht in Sicht, auch keine weiteren Steine, auf die man hätte treten können. Ein dunkler sternenloser Nachthimmel wölbte sich über die gesamte Szenerie und schien sich am Horizont mit dem Wasser zu verbinden.


    Hinter ihm war die Tür, durch die er gekommen war, verschwunden – oder auch niemals da gewesen. Er ging in die Hocke, um das Wasser aus der Nähe betrachten und vor allen Dingen, um auszukundschaften, ob sich darin etwas bewegte. Es gab aber nichts darin zu erkennen, außer, dass es ziemlich tief zu sein schien. Also zog er seinen Gürtel aus der Hose, um ihn zum Messen zu verwenden und zu sehen, ob sich die Wassertiefe vielleicht feststellen ließ.


    Die Schnalle des Gürtels traf jedoch nicht auf Grund, selbst dann nicht, als er seinen ursprünglichen Vorsatz, das Wasser nicht berühren, ablegte und seinen Arm bis zur Schulter in das dunkle Nass eintauchte. Zumindest gefährlich schien das Wasser nicht zu sein, es brannte nicht auf der Haut und rief keine Verletzungen hervor.


    Als er den Gürtel wieder hochzog, hatte sich ein metallischer Gegenstand in der Schnalle verhakt. Ein kleines goldenes Amulett fiel ihm in die Hand, ein Amulett, welches aussah wie eine Kombination aus einem Kreuz und einer Ellipse mit Spitze. Seine Augen verengten sich; wo hatte er so etwas schon einmal gesehen?


    Ankh, ” sagte er, stirnrunzelnd, während er das Amulett betrachtete. “Leben.”


    Einen Moment lang war alles ruhig bis auf das kontinuierliche Rauschen des Wassers. Dann fragte plötzlich eine Stimme in die Stille: “Was schenkt das Leben?“


    Na toll. Genau das, was er jetzt brauchen konnte: Noch mehr Rätsel.


    Also, wer oder was schenkt das Leben? Die Sonne, die Natur, die Erde, der Fluss, eine Mutter, Atum, der Schöpfer oder Khnum, der die Menschen aus Lehm geformt hatte. Wie sollte man eine so merkwürdige Frage überhaupt beantworten können?


    “Wer vernünftige Antworten erwartet, sollte erst einmal lernen, vernünftige Fragen zu formulieren,“ gab er ärgerlich zurück. Zweifellos war das nicht die Antwort, welche die nervtötende Stimme in der Dunkelheit von ihm erwartete, aber er hatte die Schnauze gründlich voll von nervtötenden Stimmen in der Dunkelheit. Entweder zeigten diese Leute sich langsam mal oder er würde... autsch!


    Etwas wurde aus dem Wasser geworfen und klatschte gegen seine Hand, welche er gerade noch rechtzeitig erhoben hatte, um sein Gesicht zu schützen. Bevor er den kleinen Gegenstand jedoch richtig zu fassen bekam, schlüpfte dieser durch seine Finger und fiel ihm in den Kragen. Fluchend griff er danach und zog ihn wieder heraus. Es war ein kleiner grüner Lapislazuli in der Form eines Skarabäus.


    Auch ein Skarabäus war ein Symbol für das Leben. Wörtlich genommen allerdings bedeutete die Hieroglyphe des Skarabäus Wachstum oder werden. Wie es schien war er schon wieder ins nächste Rätsel gestolpert, aber bevor er sich weiter darüber den Kopf zerbrechen konnte, gab es eine Störung im Wasser und etwas erhob sich aus den Strudeln und Wellen. Plötzlich fand er sich Auge in Auge mit einem massigen rötlich-schwarzem Kopf wieder, welcher in einer breiten Schnauze mit klobigen Nasenlöchern endete. Der Kopf eines Nilpferdes.


    Seine Hände stoppten mitten in der Bewegung; es war besser keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nilpferde gehörten zu den aggressivsten und gefährlichsten Tieren der Welt. Sollte diese Kreatur ihn angreifen, konnte er sich keine guten Überlebenschancen ausrechnen.


    Doch die wirkliche Überraschung erwartete ihn erst, als der Kopf weiter aus dem Wasser auftauchte. Der Körper darunter war nicht der Körper eines Tieres, er war menschlich.


    “Es ist der Große Fluss, der das Leben schenkt,“ sagte die Nilpferdfrau. Sie hatte eine tiefe, volle und etwas knorrige Stimme. “Jedes Jahr, in der Zeit der Akhet durchbricht er die Bande seines Bettes und überflutet das Land mit seinem schwarzen Schlamm, um es fruchtbar zu machen.“


    “Geht das auch in der Kurzfassung?“ Sein Interesse an landwirtschaftlichen Vorträgen war etwa ebenso groß wie sein Interesse an Gedichten über Frösche.


    “Wie wollt Ihr einen Fluss überqueren, wenn Ihr die wahre Natur des Flusses nicht versteht?“


    Offenbar hatte diese Frau großes Vergnügen daran, Fragen mit Gegenfragen zu beantworten. Trotzdem lag etwas seltsam Vertrautes in ihren Worten. Sie riefen Bilder in seinem Geist hervor, Bilder von Bauern, die auf schlammigen Feldern standen und Kanäle gruben, um das Wasser des Flusses zu sammeln. Andere verwendeten Eimer an langen Stangen, um das Wasser gleichmäßig zu verteilen. Zunächst waren diese Eindrücke nur vage, doch dann wurden sie stärker, bis er schließlich sogar kleine Details vor seinem geistigen Auge erkennen konnte, wie etwa die Turbane, die die Köpfe der Bauern vor der Sonne schützen, oder die Lehmgewichte, welche die Stangen ausbalancierten, damit man die vollen Wassereimer leichter in die Höhe ziehen konnte.


    Auf Akhet, die Jahreszeit der Überschwemmung folgte Peret, die Jahreszeit des Wachstums. Das Wasser zog sich in den Boden zurück und die Felder konnten bestellt werden. Kühe zogen leichte Holzpflüge, um die Erde ein wenig aufzulockern, während die Bauern Weizen und Gerste säten. Schon bald brachen frische grüne Triebe hervor, die allmählich zu goldenen Ähren heranwuchsen.


    Was geschah hier mit ihm? Warum waren diese Bilder so lebendig, als sei es erst gestern gewesen, dass er an diesen Feldern vorbeigegangen war? War dies ein Teil seiner verlorenen Erinnerung? Und doch, irgendetwas fühlte sich falsch an, wollte nicht so recht zusammenpassen. Spielte sein Geist ihm einen Streich?


    Oder war da noch jemand anderer, der ihm den Streich spielte?


    “Gut, dann werd’ ich mich eben selbst um die Kurzfassung kümmern.“ Er hielt die beiden kleinen Artefakte hoch, das Ankh und den Skarabäus. “Du bist so eine Art mystischer Wächterin und du wirst mich nicht eher vorbeilassen, bis ich irgendein Rätsel gelöst oder dich in einem dämlichen Spiel besiegt habe. Also schön, leg’ die Karten auf den Tisch! Ich hab’ schon genug von meiner kostbaren Zeit verschwendet.“


    “Das sind große Worte für jemanden mit einer zerstörten Seele,“ gab die Frau zur Antwort. Es war schwierig, die Gefühlsregungen in ihrem Tiergesicht zu lesen, aber es schien ihm, dass sie ihn mit einer Mischung aus Genervtheit und neugierigem Interesse betrachtete. “Aber wie Ihr so scharfsinnig erkannt habt, bin ich tatsächlich eine Wächterin. Ich bin Quat-A, eine Dienerin der Göttin Taweret und die Hüterin des ersten Tores von Duat.”


    “Was auch immer. Warum bleiben wir nicht bei der Kurzfassung, und du öffnest einfach dieses Tor für mich. Dann hab’ ich mein Leben wieder und du deine Ruhe, oder was immer du an diesem lächerlichen Ort suchst. So kriegen wir beide, was wir wollen.“


    Natürlich war es nicht wahrscheinlich, dass sie auf diesen Vorschlag einging, aber versuchen konnte man es ja mal.


    “Bevor Ihr Euch fragt, was Ihr wollt, solltet Ihr Euch erst einmal fragen, wer Ihr seid,“ tadelte sie ihn und erhob eine Hand aus dem Wasser. Zunächst schien diese leer zu sein, aber was er zuerst für glitzernde Wassertropfen gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein kristallartiges Bruchstück, das in ihrer Handfläche ruhte.


    “Hmm. Ist es das, was ich denke, das es ist?“ Also hatte das Mädchen mit den blauen Augen recht behalten und sein Herz war wirklich überall hier verteilt. “In diesem Fall solltest du es mir geben, denn es gehört mir.“


    Er streckte die Hand aus, aber sie zog die ihre zurück ins Wasser. “Als Euer Ib zerbrochen wurde, fiel ein Stück davon in meinen Fluss. Wenn Ihr zurückfordern wollt, was der Fluss sich genommen hat, müsst Ihr zuerst seine wahre Natur verstehen.“


    “Wir drehen uns im Kreis,“ seufzte er und warf einen genervten Blick auf die beiden Gegenstände. “Dass es auch nie jemand schafft, sich kurz zu fassen. Ich schätze mal, das Ankh steht für die Jahreszeit der Überschwemmung, weil es geformt ist wie der Nil mit seinem Nildelta. Der Skarabäus steht für die Jahreszeit des Wachstums, weil das eine seiner Bedeutungen als Hieroglyphe ist. Sonst noch was?“


    “Es fehlt Shemu, die Zeit der Ernte.” Erneut öffnete sie ihre Hand, aber das Stück seines Herzens lag nicht länger darin. Stattdessen hielt sie eine kleine Sichel darin. “Diese drei Jahreszeiten folgen einander in einem Rad ohne Anfang und Ende. Akhet folgt auf Shemu, Peret folgt auf Akhet, Shemu folgt auf Peret. Sollte dieser ewige Zyklus jemals durchbrochen werden, werden Dürre und Hungersnot über das Schwarze Land und seine Bewohner hereinbrechen.


    Sie reichte ihm die Sichel und öffnete ihre andere Hand, welche exakte Kopien aller dreier Gegenstände enthielt.


    Er starrte sie ungläubig an; das konnte die Frau doch nicht ernst meinen.


    “Willst du ernsthaft behaupten,“ nur mühsam hielt er seinen Zorn unter Kontrolle, “das dieser ganze Rattenschwanz von albernen Vorträgen und lächerlichen Visionen auf eine altägyptische Fassung von Jan-Ken-Pon hinausläuft?”


    Wutschnaubend schnappte er sich die Sichel. Dieses alberne Kinderspiel war wirklich seine Zeit nicht wert. Er nahm beide Hände hinter den Rücken und schob das Ankh in seine Rechte. Um das Ankh zu schlagen, würde sie den Skarabäus verwenden müssen und Experimente hatten gezeigt, dass, aus welchen Gründen auch immer, Schere bei den meisten Testpersonen die am wenigsten wahrscheinliche Wahl darstellte.


    Sie öffnete die Hand nur Sekundenbruchteile, bevor er es tat – es war die Sichel.


    Akhet folgt auf Shemu,” sagte er mit einem zufriedenen Grinsen, während er ihr das Ankh zeigte und anschließend die Artefakte wieder hinter seinem Rücken verschwinden ließ. “Die Göttin des Sieges lächelt auf mich hernieder, Hüterin des ersten Tores.“


    Die meisten Leute wechselten nach der ersten Runde, deshalb vermutete er, dass sie das nächste Mal tatsächlich den Skarabäus verwenden würde. Er fühlte die drei Symbole mit den Fingern und schob die Sichel in die rechte Hand. Dies würde sicher nicht schwierig werden.


    Sie öffnete ihre Hand – es war das Ankh.


    Er runzelte die Stirn; dieser Zug war nicht so verlaufen, wie er es vermutet hatte. Wahrscheinlich hätte er bei seiner ursprünglichen Hypothese bleiben sollen, dass Schere am seltensten verwendet wurde, aber es war jetzt zu spät, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er hatte noch eine Runde vor sich, und um das Stück seines Herzen zu bekommen, musste er sie gewinnen.


    Würde sie ihr Symbol wechseln oder ein weiteres Mal das Ankh verwenden? Die meisten Leute wechselten nicht nach der zweiten Runde, also wäre es wahrscheinlich besser, den Skarabäus zu verwenden. Andererseits, was war, wenn sie dem Zyklus der Jahreszeiten folgte und den Skarabäus nahm? Er war das Symbol, das sie noch nicht verwendet hatte und sie hatte doch so fest darauf bestanden, dass die natürliche Ordnung nicht gestört werden durfte. Vielleicht konnte er von dieser Einstellung Rückschlüsse auf ihre Strategie ziehen?


    Hmm... würde er sich bei seinem nächsten Zug auf die Gesetze der Stochastik verlassen oder sollte er lieber versuchen, die dreimal gedrehte Sichtweise eines uralten, göttlichen Wesens nachzuvollziehen?


    Er würde sich zwischen diesen zwei Versionen entscheiden müssen. Nein, warum sollte er? Beide Szenarien sagten voraus, dass sie in der nächsten Runde nicht die Sichel verwenden würde. Falls er nun selbst die Sichel verwendete und eine seiner beiden Theorien stimmte, würde das Spiel entweder mit seinem Sieg oder seiner Niederlage enden. Wenn er aber den Skarabäus nahm, würde das Spiel mit einem Sieg oder Gleichstand enden. Also war es doch offensichtlich, was er tun musste.


    Sie öffnete die Hand – der Skarabäus.


    “Da dieses Spiel mit Gleichstand endet,“ erklärte sie mit ruhiger Stimme, “werden wir ein weiteres mal gegeneinander antreten müssen.“


    “Nein, werden wir nicht,“ schnitt er ihr das Wort ab. “Du verwendest in der nächsten Runde wieder die Sichel, dann das Ankh, dann den Skarabäus und immer so weiter. Es ist, wie du sagst, der natürliche Zyklus der Jahreszeiten, der nicht durchbrochen werden darf.“


    “Wie es scheint, versteht Ihr nun endlich die wahre Natur des Großen Flusses, und ebenso seine Verbindung mit dem Schwarzen Land und seinen Bewohnern. Öffnet eure Hand und nehmt das fehlende Stück eures Ib entgegen.”


    Er ließ die drei Artefakte zurück in ihre Hände fallen und streckte die Hand nach dem kleinen kristallähnlichen Bruchstück aus. Diesmal schloss er vorsichtshalber ein wenig die Augen, falls es wieder einen Lichtblitz geben sollte...



    * * *



    …aber der Lichtblitz blieb aus. Stattdessen war es Dunkelheit, die ihn umgab, abgesehen vom sanften Schimmer des Bruchstücks, welches sich unerwartet in den milden Schein einer Öllampe verwandelt hatte.


    Die Lampe stand auf einer kleinen Truhe. Auf einer Strohmatte daneben saß eine junge Frau, ihren Ellenbogen auf ein Kissen gestützt. Sie trug ein Kleid aus weißem Leinen welches über der linken Schulter zusammengebunden war. Ihr Gesicht, umgeben von einer Flut schwarzer Locken, war über eine Schriftrolle gebeugt, während sich der Schreibkiel in ihrer Hand gleichmäßig über den Papyrus bewegte. Nur dann und wann hielt er inne, um in ein Gefäß mit schwarzer Tinte getaucht zu werden, welches sich auf ihrer anderen Seite befand.


    Kleine Tiere, Pflanzen, menschliche Abbildungen und Gegenstände des täglichen Lebens formten sich unter dem Schreibkiel, wurden zu Wörtern und schließlich zu Sätzen. Als er versuchte, das Geschriebene zu entziffern, wusste er nicht mehr, ob es die Schrift selbst war, die ihn faszinierte, oder einfach die Tatsache, dass es, während die Zeit verging und die Gedanken im Nichts verschwanden, immer noch einen sicheren Hafen gab, in welchem sie aufbewahrt werden konnten. Ideen, die nur im Kopf eines Menschen existierten, konnten schriftlich festgehalten... autsch!


    Ein scharfer Schmerz durchbrach seinen Gedankengang und ein hölzernes Krokodil, noch unfertig, fiel klappernd zu Boden. Als die Frau sich umwandte, sah er neben ihr einen kleinen Jungen sitzen, der sich die Hand hielt. Ein kleiner roter Schnitt war an seinem Zeigefinger zu sehen.


    “Vielleicht solltest du lieber tagsüber schnitzen, Set, wenn das Licht besser ist.“ Liebevoll nahm die Frau die winzige Hand des Jungen in ihre große und untersuchte den Schnitt. “Es ist nicht schlimm, in ein paar Tagen wird alles wieder verheilt sein. Warte, ich tu etwas von der Ringelblumensalbe darauf.“


    “Mir geht’s gut, Mutter.“ Der Junge entzog ihr seine Hand und warf trotzig seine Jugendlocke über den ansonsten kahl geschorenen Kopf zurück. “Und du arbeitest auch, obwohl das Licht schlecht ist.“


    “Ich habe Ib-En-Set versprochen, dass ich den Brief an seine Tochter bis morgen fertig habe, damit die Kaufleute ihn in das Dorf mitnehmen können, wo sie jetzt mit ihrem Mann lebt. Wenn ich mein Versprechen nicht einhalte, werden die Leute mich für unzuverlässig halten und in Zukunft lieber die Schreiber im Tempel aufsuchen,“ erklärte die junge Frau ihrem Sohn. Eine Falte überzog ihre Stirn, als mache sie sich Sorgen, doch im nächsten Moment hellte sich ihr Gesicht wieder auf. “Zeig’ mir, wie du deinen Namen schreibst,“ verlangte sie fröhlich und zog ein frisches Blatt Papyrus hervor.


    “Ja, Mutter.“ Begierig darauf, ihr zu zeigen, was er konnte, tauchte der Junge den Schreibkiel in die Tinte. Er gab sich nicht mit den kleinen Hieroglyphen zufrieden, die seine Mutter verwendet hatte, sondern kritzelte eifrig das Blatt voll und hielt es stolz hoch. “Mein voller Name lautet Meri-Set, das bedeutet ’von Set geliebt.’ Und wenn ich das noch dazuschreibe“ – mit einem weiteren Buchstaben änderte er den Namen zu Merit-Set – “dann wird mein Name zu deinem.“


    “Sehr gut,“ lobte sie ihn. “Ich wusste schon immer, dass du sehr gelehrig bist.“


    “Ich kann noch viel mehr, wenn du’s sehen willst.“ Set ließ den Schreibkiel fallen und griff aufgeregt, nach dem nächsten Blatt. “Ich kann auch den Namen von Meister Ib-En-Set schreiben. Er bedeutet ’Herz des Set’. Und seine Tochter, die die den Mann aus dem anderen Dorf geheiratet hat, heißt Nefer-Selket, das bedeutet: ’Selket ist lieblich’. Das ist, weil sie vom Skorpion gebissen wurde, als sie klein war, aber Selket hat ihr Leben verschont.“


    Er wollte den Schreibkiel wieder aufnehmen, doch die Mutter schüttelte den Kopf. “Es ist gut für heute, Set. Ich weiß, dass du all diese Namen schreiben kannst, aber ich brauche den restlichen Papyrus für meine Arbeit. Sorge dich nicht, sobald du in die Tempelschule gehst, wirst du genug zu schreiben haben. Und wenn du in dieser Geschwindigkeit weiterlernst, wirst du mit Sicherheit einer der besten Schüler.“


    “Ich werde der Beste sein,“ korrigierte er sie mit ruhiger, sachlicher Stimme. “Ich werde mich niemals mit einem zweiten Platz zufrieden geben.“


    “Wie es scheint, hast du nicht nur die Intelligenz deines Vaters geerbt, sondern auch seinen Ehrgeiz.“ Gedankenverloren blickte Merit-Set ihren Sohn an. “Manchmal frage ich mich, ob das gut oder schlecht ist.“


    “Wie kann es nicht gut sein?“ rief Set verblüfft. “Mein Vater war ein tapferer Mann. Er hat sein Leben gegeben, um unser Land zu beschützen. Das hast du selbst gesagt!“


    “Ja, das war er und ja, das hat er getan.“ Sie sprach diese Worte mit sehr fester Stimme aus, als müsse sie sich selbst ebenso davon überzeugen wie ihren Sohn. “Ich wünsche mir nur manchmal, dass die Dinge anders gelaufen wären und dass er noch bei uns sein könnte.“


    Set nickte. “Das wünsch’ ich mir auch, aber ich erinnere mich nicht daran, dass es jemals anders war. Für mich war es immer so wie jetzt.“


    Keine Erinnerungen an die Vergangenheit...


    Keine Erinnerungen an seinen Vater...



    * * *



    In seinem Geist waren Bilder von seinem Vater, der tapfer inmitten einer großen Schlacht kämpfte, aber er wusste, dass diese Bilder der Fantasie entstammten und nicht der Erinnerung. Und doch fühlten sie sich ebenso wahr und richtig an, wie seine echten Erinnerungen. Erinnerungen an seine Mutter, die ihn das Schreiben gelehrt hatte. Erinnerungen an die Kinder im Dorf mit denen er gespielt hatte. Erinnerungen an...


    ... Feuer! Ein mächtiges Feuer, das sein ganzes Dorf niederbrannte. Menschen, die schrieen und versuchten, den gierigen Flammen zu entkommen. Banditen, die sie jagten und mit ihren Schwertern töteten. Und dann…


    Dann erschien der weiße Drache am Himmel...


    Nein, nichts davon konnte wahr sein. Jemand versuchte, ihn hinters Licht zu führen, dessen war er sich sicher. Dies war nicht sein Leben. Dies waren nicht seine Erinnerungen. Seine Erinnerungen waren verschwunden. Was geschah hier mit ihm?


    Ein letztes Mal erschien das Bild seiner Mutter vor seinem geistigen Auge, dann war die Vision verschwunden und ihre schimmernden schwarzen Locken verwandelten sich wieder in das ewig fließende Wasser um ihn herum. Auch die Nilpferdfrau war verschwunden, aber an dem Ort, wo sie gewesen war, erhob sich eine weitere Tür aus dem Wasser, eine Tür, die aus blauem Eis zu bestehen schien. Hieroglyphen waren in sie eingeritzt.


    Und anstatt des Stücks von seinem Herzen hielt er eine weitere Karte in der Hand.



    ------------------------------------------


    HOLY ELF NO SHUKUFUKU
    (Der Segen der heiligen Elfe)
    Gabe der mystischen Elfe


    [Falle]


    Erhöhe deine Life Points um 300
    für jedes Monster auf dem Spielfeld,
    unabhängig von der Position.


    --------------------------------------------



    Eine Karte, welche die Life Points erhöhte und das Spiel hinauszögerte? Irgendwie klang das nicht nach einer Karte, die er in seinem Deck verwenden würde. Er bevorzugte eine offensive Beat-Down Strategie, die den Gegner möglichst schnell auf Null brachte. Also war es nicht notwendig, Zeit zu erkaufen. Eine solche Karte war nur unnötiger Ballast, der guten Karten den Platz wegnahm...


    Dies war Wirklichkeit. Dies war ein Teil seines Lebens, er konnte es deutlich spüren. Also hatte das Mädchen mit den blauen Augen noch in einem weiteren Punkt recht behalten: Er war gut in diesem Spiel. Und mit jeder Karte, die er zurückgewann, würde auch ein Teil seiner Stärke wiederkehren.


    Er steckte die Karte zu dem weißen Drachen in seine Brusttasche and sah sich die Schrift auf der Tür genauer an.



    A mouth I have, but never speak
    My arms stretch far and wide
    A bed I own, yet never sleep,
    I travel day and night.
    Without legs to carry me,
    So, answer now, who may I be?



    Eine Mündung habe ich, doch ich spreche niemals,
    Meine Arme erstrecken sich weit
    Ein Bett besitze ich, doch ich schlafe niemals,
    Ich bin Tag und Nacht auf der Reise.
    Ohne Beine die mich tragen,
    Also antworte jetzt, wer mag ich sein?



    Tsuzuku
    (Fortsetzung folgt)

    Danke euch beiden :)


    Stimmt, das ergibt auch alles Sinn, wenn man die Rulings durchliest.


    Mich hatte nur ein Freund etwas verwirrt, weil er meinte, dass es ein Replay gibt, wenn eine Karte vom Feld entfernt wird und dass dann ein Angriff wieder möglich wäre. Aber wenn es heißt, dass keine Kopie der BEWD in dem Zug angreifen kann, wäre es ja unlogisch, wenn dieselbe BEWD wieder angreifen könnte, nur weil sie zwischendrin vom Feld entfernt wurde.


    edit: Wegen des Namens, sorry, war mir nicht bewusst, dass die Karte auf englisch anders heißt. Ich bin den Namen aus der Serie gewohnt.


    Ist sowieso ein wenig seltsam, weil manche Karten auf japanisch englische Namen haben und dann auf englisch plötzlich japanische Namen. Zum Beispiel heißt der Diamond Dragon auf englisch Hyozanryu. *g*

    Ich hätte ein paar Fragen zur Blue-Eyes White Dragon und zur Zauberkarte Horobi no Burst Stream. Normalerweise ist es ja, dass kein weißer Drache im selben Zug angreifen darf, wenn ein Horobi gespielt wird. Was passiert aber, wenn:



    1. die Blue Eyes noch im selben Zug zerstört wird und ich sie mit Wiederbelebung oder Birth Right vom Friedhof zurückhole, darf sie dann angreifen oder nicht?


    2. Ich sie nach dem Horobi mit Wingbeat vom Feld hole und anschließend mit Kaibaman oder Ancient Rules wieder ausspiele?


    3. Ich nach dem Horobi die Fallenkarte "Spur der Verwüstung" aktiviere?



    Würd' mich freuen, wenn mir jemand weiterhelfen könnte :)

    Zitat

    Episoden Guide


    00. Prolog: Zerschmettert
    01. Inochi wo Ataeta - Holy Elf no Shukufuku (Diejenige, die das Leben gab - Segen der heiligen Elfe)
    02. Ka Yuugo no Chikara – Minotaurus, Kentaurus, Minokentaurus (Die Macht der Ka Fusion – Minotaurus, Kentaurus, Minokentaurus







    Soo... ich schätze, ich werde noch eine Zeitlang brauchen, bis ich mit deinen Staffeln auf der Höhe bin, aber ich werd' mich am Wochenende mal dransetzen und alles in Ruhe durchlesen. Ich les' es dann lieber am Stück, weil, wenn es spannend ist, kann ich nicht aufhören, um irgendwelchen Alltags-Krempel zu erledigen. *g*


    Jedenfalls klingt der Anfang schon mal sehr vielversprechend. Anja ist so eine richtige Anime-Heldin, einerseits tough mit "Ich hau auf's Maul"- Einstellung, andererseits kann sie sich auch total mädchenhaft in einen Typen verknallen. Nur, das dann das Temperament wieder mit ihr durchgeht. *lach*


    Ich hoffe, es kommt mal ein Duell Anja vs Tatjana. *ggg* Ich wette, Yami und Kaiba sind sanftmütige Schäfchen im Vergleich zu denen beiden.


    Kurze Frage: In welchem Land spielt die Story eigentlich? Die Namen sind ja recht bunt gemischt.

    Es gibt soviel Dunkelheit auf dieser Welt. Soviel Leid, Trauer und Schmerz..


    Aber dennoch haben uns die Götter ein einziges Licht gegeben, um die Dunkelheit zu überwinden, das Licht, welches Liebe genannt wird. Es leuchtet in unseren Herzen wie eine Kerze, wie eine strahlende Flamme. Es führt uns, leitet uns, und es gibt uns einen Grund weiterzumachen, ganz egal welchen Prüfungen wir uns stellen müssen.


    Wenn ich Euch jetzt anschaue, kann ich dieses Licht in Eurem Herzen sehen. Es liegt begraben unter Eurem Stolz, Eurer Wut und der Asche Eurer zerbrochenen Träume, aber es leuchtet immer noch. Ihr teilt einen Bund mit jemandem. Euer Herz sehnt sich nach ihm, Eure Seele ruft nach ihm, und alle Eure Ka-Geister regen sich in ihren Weiju und finden keine Ruhe.


    Warum versucht Ihr diesen Bund zu zerbrechen, anstatt ihn zu bewahren? Warum wollt Ihr Euch selbst dieses göttliche Geschenk verweigern? Versteht Ihr denn nicht, wie kostbar es ist?


    Könnt Ihr ehrlich von Euch selbst sagen, dass ihr lieber in Dunkelheit leben wollt? Allein?




    Schicksalsduellanten


    Shukumei no Duelist
    (Duelists of Fate)
    ----------------------------------






    Prolog: Zerschmettert




    Alles um ihn herum war dunkel. Es war so verdammt dunkel, dass er im ersten Moment nicht einmal wusste, ob er seine Augen geöffnet oder geschlossen hatte.


    Vorsichtig berührte er sein Gesicht, um herauszufinden, ob mit ihm alles in Ordnung war.


    Zumindest fühlte es sich wie ein Gesicht an. Seine Nase, Mund, Wangen, Haare, alles schien noch am richtigen Platz zu sein. Seine Augen waren offen, aber noch immer konnte er seine Hände nicht sehen. Einen Moment lang fragte er sich, ob er vielleicht blind geworden war.


    Seine Brust schmerzte. Seine Brust schmerzte so sehr, als ob ihm jemand in die Rippen getreten hätte. Vielleicht war ja genau das passiert, es wäre gut möglich, wenn man die Umstände betrachtete. Er legte sich flach auf den Rücken und versuchte regelmäßig zu atmen, aber der Schmerz ließ nicht nach. Jeder Atemzug fühlte sich an, als ob er Nadeln statt Luft einatmete.


    Wo bin ich? Was ist passiert? Wie bin ich hierher geraten?


    Warum ist es so dunkel?


    “Jeder wahre Anfang beginnt in der Dunkelheit,” antwortete eine sanfte Stimme. “Die Dunkelheit ist älter als das Licht.”


    Bin ich gestorben?


    Dieses Mal gab die Stimme keine Antwort, also sprach er seine Frage laut aus: “Bin ich gestorben?”


    “Anubis sagt, ja, das seid Ihr.”


    Na toll. Bei all den Dingen, die auf seiner heutigen To-Do-List standen – nicht dass er sich an irgendwas davon erinnern konnte – war Sterben bestimmt nicht dabei. Eigentlich konnte er sich ja nicht einmal daran erinnern, ob er überhaupt so etwas wie eine To-Do-List führte, aber falls er es doch tat, standen da bestimmt solche Dinge wie: 11.00 Mittagessen oder: 16.00 Meeting. Und stattdessen war er nun an einem seltsamen stockdunklen Ort gelandet und durfte sich von nervtötenden schwebenden Stimmen irgendwelches kryptische Gewäsch anhören, während seine Brust schmerzte und er all seine Erinnerungen verloren hatte. Nun, nicht all seine Erinnerungen, denn schließlich konnte er sich noch ganz genau daran erinnern, dass er weder an nervtötende schwebende Stimmen noch an kryptisches Gewäsch glaubte. Moment mal – wenn er wirklich tot war, warum sollte ihm dann überhaupt noch irgendetwas weh tun?


    “Aber ich teile diese Ansicht nicht,“ sagte die Stimme. “Und es scheint, dass ich die besseren... uhm... Argumente habe. Jedenfalls im Moment.“


    “Hmm. Könnt ihr euch vielleicht mal alle entscheiden, ob ich nun tot bin oder nicht,“ keuchte er und presste die Hand gegen die Brust, als er vergeblich versuchte, sich aufzusetzen. Wenn dies ein Alptraum sein sollte, war er definitiv zu lächerlich, um von ihm geträumt zu werden. Er würde sofort damit aufhören, diesen Schwachsinn zu träumen.


    “Ich fürchte, diese Entscheidung liegt nicht bei mir.“ Sie – es war definitiv eine weibliche Stimme – schien aufrichtig darüber enttäuscht zu sein.


    “Dann bring’ mir den Verantwortlichen her und sag’ ihm, ich möchte mein Leben zurück.“ Beim zweiten Versuch gelang es ihm mühsam, sich in eine sitzende Position zu befördern. “Und möglichst schnell, wenn’s beliebt, ich habe schließlich eine Firma zu leiten.“


    Ja, da war definitiv eine Firma. Wenn er sich nur daran erinnern könnte, wie sie hieß.


    “Oh, das würde ich gern tun, aber leider ist es nicht ganz so einfach.“ Sie seufzte leise. “Zum Teil ist all dies meine Schuld. Ich wünschte, ich hätte Euch besser beschützen können, dann wärt Ihr jetzt sicher nicht in einer solchen Situation. Aber ich musste eine Entscheidung treffen, und ich habe Euer Leben gerettet, anstatt Eurer Seele und Eure Seele, anstatt Eures Herzens.“


    “Jetzt komm’ aber mal zum Punkt!“ Er hatte nicht den geringsten Nerv für diesen ganzen okkulten Schwachsinn. Er hatte sehr viel wichtigere Dinge zu tun, und sobald er erst einmal aus diesem dämlichen Möchtegern-Alptraum aufgewacht war, würde er sich auch wieder daran erinnern, welche das eigentlich waren. All dieses Gerede über Herzen und Seelen klang einfach nur lächerlich und nichts davon ergab einen Sinn. Seine Seele war... nun, wo auch immer Seelen waren, falls es sie geben sollte und sein Herz war genau da, wo es hingehörte, nämlich in seiner Brust.


    Nur, dass es nicht schlug.


    Er hielt zwei Finger ans Handgelenk und versuchte verzweifelt, einen Puls zu fühlen. Das konnte alles gar nicht möglich sein, es musste sich um einen schlechten Scherz handeln. Wie konnte man ohne Puls überhaupt leben? Was hatte das zu bedeuten? Nein, er konnte nicht tot sein!


    Doch, das konnte er. Verlieren bedeutet sterben.


    Dieser letzte Satz hallte so laut und deutlich in seinem Geist wieder, dass er sich fragte, ob jemand anderes ihn ausgesprochen hatte. Und es war definitiv nicht das Mädchen gewesen.


    “Ihr habt es also bemerkt.” Ihre Stimme klang jetzt viel näher als vorher. Er streckte den Arm aus und tastete in der Dunkelheit herum; er hatte es nicht besonders gern, wenn man sich an ihn heranschlich, und nervtötende schwebende Stimmen bildeten da keine Ausnahme. Aber alles, was er spüren konnte, war eine sanfte Bewegung der Luft, als wäre gerade jemand an ihm vorbei gegangen. Schritte waren jedoch keine zu hören.


    “Nun, wie ich schon sagte, wir beide mussten Entscheidungen treffen und jetzt seid Ihr leider in einer nahezu hoffnungslosen Situation. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es geradezu Eure Spezialität ist, Euch aus nahezu hoffnungslosen Situationen wieder herauszumanövrieren. Es ist vielleicht sogar das, was Ihr am besten könnt, abgesehen davon, Euch in hoffnungslose Situationen hineinzumanövrieren. Und bei Duel Monsters gewinnen, aber davon später. Jetzt müsst Ihr zunächst einmal...“


    “Ich entscheide selbst, was ich tue, vielen Dank auch,” unterbrach er sie brüsk. “Ich lasse mich nicht herumkommandieren.“


    “Ja, ich weiß.“ Er hörte ein leises Lachen; aus irgendwelchen unbekannten Gründen musste seine letzte Bemerkung sie wohl amüsiert haben. “Aber habt Ihr nicht selbst gesagt, dass Ihr ins Leben zurückkehren möchtet? Ohne Herz dürfte das ziemlich schwierig werden. Also, wofür entscheidet Ihr Euch? Wollt Ihr weiter hier herumsitzen und Däumchen drehen, oder Euer Leben zurückgewinnen?“


    Er dachte über seine Möglichkeiten nach. Da er immer noch nichts über diesen seltsamen Ort wusste, (und über den Rest eigentlich auch nicht) waren diese im Augenblick wohl ziemlich dünn gesät. “Gut. Ich werde dein kleines Spielchen mitspielen – für den Moment jedenfalls. Also, wie lauten die Regeln?“


    “Ich wusste es! Ihr würdet niemals aufgeben!“ rief sie triumphierend, und fügte einen Moment später hinzu: “Aber trotzdem, Worte können gar nicht beschreiben, wie glücklich mich diese Entscheidung macht. Bitte öffnet Eure Hand, es gibt etwas, das ich Euch geben möchte.“


    Er fragte sich immer noch, wie zum Teufel noch mal sie in dieser Dunkelheit seine Hand überhaupt finden wollte, als bereits eine andere Hand die seine berührte und einen Gegenstand hineinlegte. Er hatte keine Ahnung, was für ein Gegenstand es war, nur dass er sich warm und glatt anfühlte, and irgendwie – es gab kein anders Wort dafür – lebendig. Die fremde Hand schloss seine Finger ganz fest darum, bevor sie ihn wieder losließ.


    “Was ist das?“ Die Wärme breitete sich in seinem ganzen Körper aus und der Schmerz in seiner Brust ließ endlich etwas nach.


    “Ein Bruchstück,“ entgegnete sie mit unüberhörbarer Trauer in der Stimme. “Ich fürchte, es ist alles, was von Eurem einst so stolzen Duellantenherzen übrig geblieben ist. Ich habe es für Euch bewahrt.“


    “Und was genau soll ich damit anfangen?”


    “Es wird Euch dabei helfen, die anderen Bruchstücke zu finden. Wenn Ihr sie alle einsammelt, könnt Ihr Euer Herz vielleicht zusammenfügen und wieder ins Leben zurückehren.“


    “Hmm.“ Die ganze Sache klang zu sehr nach einem billigen Adventure-Spiel. “Und wo ist der Haken?“


    “Nun, dies ist ein Yami no Game. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass es Aufgaben und Prüfungen geben wird…”


    Natürlich, was denn sonst. Und wahrscheinlich auch Monster und Schätze und jede Menge sinnloses Herumgerenne in irgendwelchen Dungeons. Ganz zu schweigen von irgendwelchen lächerlichen Endgegnern mit magischen Kräften und einer haarsträubenden Lache. Hoho! Dummdideldei, aus dir mach ich Brei.


    Ein weiteres leises Lachen unterbrach seinen Gedankengang. “Ihr habt die Drachen vergessen.“


    Was auch immer. Yami no Game hatte sie gesagt. Ein Schattenspiel. Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor und ließ ihn schaudern. Er war sich sicher, dass diese Art von Spiel mit einer seiner Erinnerungen verknüpft war, aber er kam im Moment nicht darauf. War dies ein anderes Rätsel, welches er lösen musste?


    “Vor Euch liegt ein langer und schwieriger Weg.“ Ihre Stimme hatte jede Fröhlichkeit verloren und klang jetzt düster und ernst. “Ich wünschte, ich könnte Euch wenigstens Rat geben, aber Ihr hört nicht, auf das, was ich sage, deshalb seid Ihr wohl in diesem Kampf auf euch allein gestellt. Aber das ändert nichts daran, dass ich das größte Vertrauen in Eure Fähigkeiten besitze. Glaubt mir, auch wenn Ihr Euch daran jetzt nicht erinnern könnt, Ihr habt schon weitaus schwierigere Situationen gemeistert. Ihr werdet es schaffen. Und ich verspreche Euch, ich werde den ganzen Weg über bei Euch sein.“


    “Hmm.“ Er hatte nicht die allergeringste Ahnung, was er darauf erwidern sollte, und das gefiel ihm gar nicht, deshalb verlegte er sich auf seine übliche, rüde Art. “Wenn du dann mal mit dem Gesülze fertig werden würdest, könntest du mir auch was Sinnvolles erzählen.“


    “Ihr werdet mehr wissen, sobald Ihr Eure Hand öffnet. Nein, wartet – falls Ihr Anubis begegnet, sagt ihm, es tut mir sehr leid wegen unserer kleinen Meinungsverschiedenheit. Und wegen seiner Waage. Und wegen Ammut. Und Maat’s Feder... oh, wenn ich’s mir recht überlege, vergesst, was ich eben gesagt habe und haltet Euch lieber von ihm fern. Und wenn Ihr Senet gegen Ament-Urt spielt, tretet nicht auf das Haus des Wassers. Und passt auf wegen der...“


    “Ich sagte, verschon mich mit dem Gesülze.“ Und noch bevor sie ein weiteres Wort sprechen konnte, öffnete er die Finger und wurde sofort von einem grellen weißen Licht geblendet, welches aus dem Gegenstand in seiner Hand hervorbrach.


    In dem Bruchteil einer Sekunde, bevor er die Augen schließen musste, konnte er die Silhouette eines Mädchens erkennen, welches ihm gegenüber auf dem Boden saß. Ein zierliches herzförmiges Gesicht umrahmt von einer Mähne langen Haares, welches ihr über Schultern und Brust fiel. Ein kleiner, zerbrechlich wirkender Körper. Und die strahlendsten blauen Augen...


    Diese Augen sind ganz genau wie meine...


    Er zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen, aber außer tanzenden Punkten in allen Farben konnte er nichts erkennen. Das strahlende Licht war verschwunden, und ebenso das Mädchen, aber auch die schwarze Dunkelheit war nicht zurückgekehrt. Stattdessen leuchtet etwas vor ihm, etwas Großes, etwas Rechteckiges. Er verengte die Augen, um es besser erkennen zu können.


    Es war eine Tür.


    Es war eine Tür mitten im Nichts, es gab keine Wände außen herum und auch kein Gebäude oder Hof, wohin sie hätte führen können. Das blöde Ding stand da einfach so herum, ohne jeden Sinn oder Zweck.


    War es dies, was das Mädchen gemeint hatte, als sie sagte: ’Ihr werdet mehr wissen’? Tja, nur weil diese Tür hier herumstand, hieß das noch lange nicht, dass er auch durch sie hindurchgehen würde. Aber es konnte nichts schaden, sie sich ein wenig genauer anzusehen, bevor er eine Entscheidung traf. Er stand auf und bemerkte mit Erleichterung, dass der Schmerz in seiner Brust nur noch ein dumpfes Ziehen war, nichts womit er nicht fertig werden konnte. Und dieses angebliche Stück seines Herzens war immer noch...


    ...hatte sich in ein kleines Stück Karton verwandelt. Er hielt eine Spielkarte in der Hand!







    Die Karte enthielt auch die Zeichnung eines weißen Drachens, allerdings eine sehr unbeholfene. Die Proportionen waren ziemlich schief geraten, und alles in allem sah das Ding auf dem Bild eher wie ein zu groß geratenes Hühnchen aus. Es war die Art von Bild wie ein kleines Kind sie zeichnen würde.


    Duel Monsters... dies war eine Duel Monsters Karte. Das seltsame Mädchen hatte davon gesprochen und sie hatte gesagt, dass er in diesem Spiel ziemlich gut war. Aber mit einer einzelnen Karte konnte man doch kein Spiel spielen. Was also sollte er mit dem Ding anfangen?


    Er durchsuchte die Taschen seiner Schuluniform, (etwas, das er schon vor Ewigkeiten hätte tun sollen) aber sie enthielten keine weiteren Karten. Sie enthielten auch sonst nichts, kein Ausweis, kein Geld, nichts, was ihm zumindest einen Hinweis auf seine Identität hätte geben können. Warum konnte diese dämliche Schuluniform nicht zumindest irgendein Abzeichen haben?


    Diese ganze Aktion war sinnlos, also steckte er die Karte in die Tasche seines Hemdes, wo sie sicher sein würde, und widmete sich wieder seinem ursprünglichen Plan, die Tür zu untersuchen.


    Sie bestand aus Stein und war von Hieroglyphen und altägyptischen Bildern überzogen. Auf den Seiten standen sich zwei große Figuren gegenüber. Sie sahen hauptsächlich menschlich aus und waren auf die typisch ägyptische Weise dargestellt, mit den Köpfen seitlich gerichtet, aber mit dem restlichen Körper nach vorn.


    Die Figur zur Linken trug den Kopf eines Falken auf ihrem Menschenkörper. Die Figur zur Rechten hatte ebenfalls den Kopf eines Tieres, aber dieses war nur sehr schwer auszumachen. Mit seiner langen Schnauze sah es aus wie eine Mischung aus Schakal, Schwein und Esel, aber es hatte rechteckige Ohren und es gab keine bekannten Tiere mit einer solchen Ohrenform.


    Zwischen den beiden Figuren verstreut, waren sieben verschiedene Bilder. Er erkannte ein Auge, ein Zepter, eine Barke mit einer goldenen Scheibe, ein Nilpferd, zwei gekreuzte Schwerter, eine Sanddüne und eine Weizenähre. In jedem dieser Bilder war eine rechteckige Vertiefung, die genau der Größe seiner Duel Monsters Karte entsprach.


    Hmm. Eine Chance von eins zu sieben. Nicht allzu schlecht. Trotzdem warnte ihn sein Instinkt davor, einfach die Karte zu nehmen und alle Möglichkeiten durchzuprobieren.


    Er sah sich nun die Schrift genauer an, welche in den Stein gemeißelt war. Zunächst waren es einfach nur Hieroglyphen; kleine Tiere und Gegenstände. Aber irgendwie wechselten sie plötzlich die Form wurden vor seinem geistigen Auge zu Buchstaben und schließlich zu Wörtern. War dies nur seine Fantasie, die ihm einen Streich spielte? Oder konnte er aus irgendwelchen Gründen Hieroglyphen entziffern?


    WENN DIE BEIDEN SCHICKSALSDUELLANTEN MITEINANDER VERSÖHNT SIND, ÖFFNET SICH DAS TOR ZUR EWIGKEIT.




    Tsuzuku
    (Fortsetzung folgt)

    lord Undead: Danke :-)


    Ich vermute auch, es ist eine Anspielung, für die Fans die schon lang dabei sind.




    Oh, was mir grad eingefallen ist, es gab ja hier im Thread die Diskussion, ob Rally ein Junge oder ein Mädchen ist. Vielleicht hilft es euch ja weiter, dass Rally eine männliche Sprechweise benutzt. Er verwendet z.B. "boku" für "ich" und das wird eigentlich nur von Jungs benutzt.


    Ich kenne bei YGO bisher nur ein einziges Mädchen, das boku benutzt und das ist Rei aus GX, die ja immer sehr tough und männlich wirken will und sich zeitweise auch als Junge tarnt.

    Mal 'ne kurze Frage: Ist eigentlich der Cop Ushio, derselbe Ushio, der damals in der ersten Yu-Gi-Oh Serie, (noch vor Duel Monsters) mit Yuugi und Kaiba auf die Schule ging?


    Oder hat er nur zufällig den gleichen Namen und das gleiche Chara-Design?


    Weil, wenn er es wäre, dann wüßten wir nämlich ungefähr wie alt Yuugi und die anderen jetzt sind.


    Aber es kann zeitlich doch gar nicht hinkommen, dass 5Ds nur so wenige Jahre nach der Originalserie spielt. *wunder*

    Auch von mir ein großes Lob; ich finde es toll, dass sich jemand so sorgfältig mit den Hintergründen der Karten auseinandersetzt.


    Viele YGO-Karten haben ihren Ursprung in Magie, Religion und Geschichte und Takahashi-sensei hat sich echt was dabei gedacht, als er dieses Spiel entworfen hat. Viele Leute übersehen das leider (wobei das eher die Schlaumeier sind, die uns erzählen wollen, YGO sei Kinderkram :grrr: )


    Noch ein Extra-Lob für deine Recherche :)

    Hey Liss,


    großes Lob für deinen Artikel. Ein paar von diesen Erfahrungen kenne ich auch, wobei ich bisher noch nicht das "Glück" hatte, an so unangenehme Typen zu geraten. Schüchtern waren die meisten schon, aber das fand' ich jetzt nicht unbedingt schlimm. Die Jüngeren waren auch den Älteren gegenüber schüchtern, ich denke das ist ganz normal.


    Ich kenne eigentlich sehr viele Mädchen, die Yu-Gi-Oh spielen, deswegen war ich auch so überrascht, dass es nur so wenige gibt, die zu den offiziellen Treffen und Turnieren gehen. Ich war am letzten Wochenende auf der Crimson Crisis Sneak in München, und da waren über sechzig Jungs und nur drei Mädels.


    Mich hat es, wie gesagt, total überrascht, denn ich bin über die Serie zum TCG gekommen und alle anderen YGO Fans, die ich bis dahin kannte, waren ausnahmslos weiblich. Ich denke, dass dir Animexx vielleicht was sagt, oder? Dort sind die Mädels ja total in der Überzahl und ein männlicher YGO-Fan ist fast schon eine Rarität. Wobei es aber eher um die Serie geht, als um das Spiel an sich.


    Oh, und noch was, wenn wir schon nach Klischees gehen wollen, werden die Mädels bestimmt nicht YGO-Fans, weil Kuriboh so süüüüüß ist, sondern eher, weil Seto Kaiba so sexy aussieht (und sein stylischer Mantel auch in vollkommen windstillen Büros flattert) :klatsch:


    Wobei, es gibt sicher auch den einen oder anderen männlichen YGO Spieler, der Mai Kujaku in den (von den Amis zensierten) Ausschnitt starrt. *lach*

    LordUndead schrieb:


    Zitat

    und Rua IST für mich immernoch definitiv der 5te signer dafür sehen sich alleine der power tool dragan und der letzte drache ZU ähnlich als das es nur zufall sein könnte und immerhin is das seid dem zweiten opening und ending sowieso glasklar der wird da in einem athemzug mit den anderen vier signern präsentiert als eine der 5 hauptcharas wieso sollte das so sein wenn der nich doch irgendwann zum letzten signer werden würde ^^


    Ich tippe eher darauf, dass Rex Godwin der fünfte Signer ist. In einer Folge (ich hab' leider vergessen welche :-( sieht man doch den Arm des fünften Signers in einer Flüssigkeit rumschwimmen.


    Und Rex hat doch einen Metallarm, oder? Ich denke, er hat sich den Arm absichtlich amputieren lassen, um nicht als Signer erkannt zu werden. Vielleicht hat er den Arm aber auch durch den Unfall bei KaibaCorp verloren und dann in dem Tank aufbewahrt...