Moral? Wie wichtig ist sie wirklich?

Nachdem ich mich das ganze Jahr noch nicht richtig mit der Community in einem meiner Artikel beschäftigt habe, ist nun vor einigen Wochen endlich etwas passiert, das mich wieder dazu bringt. Ich bin immer glücklich darüber, wenn abseits des Spiels Dinge passieren, über die ich euch berichten kann. Auf dem Turnier der ARG Curcuit Series in Fort Lauderdale spielte der sehr erfolgreiche Turnierspieler Patrick Hoban ein Nekrozdeck, um das Turnier zu gewinnen. In einem – oder mehreren – Mirror Matches fragte Patrick Hoban seine Gegner, ob sie die Karte Dschinn – Befreier der Rituale ab dem zweiten Spiel aus dem Main Dek herausnehmen sollen, um ein faireres Spiel zu gewährleisten. Nachdem beide dies getan haben, nahm Patrick Hoban eine zweite Kopie des Dschinns aus seinem Side Deck und nahm sie wieder in sein Deck hinein, sodass er immer noch eine Kopie der Karte gespielt hat. Wer die Meinung von Patrick selber lesen möchte kann seinen eigenen Artikel lesen. Ich möchte im Folgenden analysieren, was diese Aktion bedeutet und welche Folgen man daraus ziehen kann.



Illegal?



Wenn man sich die die Tournament Policys von Konami anschaut, liest man an zwei Stellen, dass Spieler sich nicht unsportlich verhalten sollen: “Players who engage in unsporting conduct or behavior that endangers or detracts from the event, will be removed from the venue and be subject to additional penalties.“. Spieler, die sich unsportlich verhalten, dürfen an dem Turnier also nicht weiter teilnehmen und müssen die Halle verlassen. Das Problem an dieser Formulierung ist nur, dass sie sehr offen ist. Es wird nirgendwo genau festgelegt, was unsportliches Verhalten ist. Gehört Lügen schon zum unsportlichen Verhalten? Wenn ich Spiele beobachte, sehe ich häufiger, dass sich Spieler gegenseitig anlügen. Einige Spieler tun dies zum Beispiel indem sie absichtlich Karten in ihrem Extra Deck spielen, die sie gar nicht benutzen wollen, um den Gegner zu verwirren. Andere Spieler hingegen unterhalten sich mit ihren Gegnern, um ihnen falsche Informationen zu geben. Auch ich habe schon erlebt, dass mein Gegner mir erzählt hat, dass er ein Mermaildeck spielt, obwohl er in Wirklichkeit etwas anderes spielte. Die Frage ist nun, inwieweit ist dieses Verhalten wirklich strafbar? Um Julia Hedberg zu zitieren:


“There's nothing in the policy documents forbidding these kinds of actions. Your opponent is never obligated to give you any valid information on things that are not Public Knowledge, and you should not think that they will.”


Die Leiterin des Judge Programms von Konami sagt also, dass die Aktion von Hoban offiziell erlaubt ist. Dies liegt auch daran, dass er seine Gegner ja nicht angelogen hat. Er hat sie gefragt, ob sie einen Dschinn aus ihrem Main Deck rausnehmen wollen und – seiner Meinung nach – damit nicht impliziert, dass er gar keinen Dschinn mehr spielen wird.


Play to win


Die Frage, die man hier stellen sollte ist, ob die Aktion nun so angenommen werden sollte, weil sie offiziell nicht illegal ist. Wenn man die Deckliste anschaut und sieht, dass er einen Dschinn im Side Deck spielt, muss man sich fragen, ob er diese Aktion schon länger geplant hat. Eigentlich kann man diese Frage nur bejahen, da es sonst kaum einen Grund gibt, den zweiten Dschinn zu spielen. Wenn dies der Fall ist, hat er von Anfang an die Intention gehabt, andere Spieler zu hintergehen, um sich einen Vorteil zu erschaffen. Es ist wirklich sehr schwierig zu erörtern, wie man diese Aktion bewerten will. Auf der einen Seite verstößt er damit sicherlich gegen mehrere moralische Grundsätze, die das Spiel auch ausmachen. Man geht davon aus, dass man gegen nette, faire Spieler spielt, die ein spannendes Duell haben möchten. Auf der anderen Seite versucht Hoban nur alle möglichen Ressourcen zu nutzen, um seine Gewinnwahrscheinlichkeit zu erhöhen. So wie einige Spieler versuchen – meist eher schlecht als gut – bestimmte Karten in ihrer Backrow zu bluffen, hat Hoban dies nun ein Schritt weiter getragen und geblufft, ein Gentleman zu sein.


Das wirkt besonders suspekt, wenn man bedenkt, dass er 2013 die erste Person war, die in Spielen zwischen zwei Drachenherrscherdecks seine Gegner gefragt hat, ob man die weiteren Spiele ohne Sechster Sinn und Rückkehr aus einer anderen Dimension spielen möchte. Die meisten Spieler gingen davon aus, dass dies eine sehr nette Frage war, da diese Karten das Spiel unfair machten. In Wirklichkeit hatte Hoban mit dieser Frage aber genau die gleiche Intention wie mit seiner neuesten Frage: Er wollte seine Gewinnwahrscheinlichkeit steigern. Da er glaubte, dass seine Spielfähigkeiten besser seien, da er ohne diese beiden Karten, die den Glücksfaktor erhöhten, häufiger gewinnen könne. Patrick Hoban schreibt in seinem Artikel, dass kein Spieler die Intention haben sollte, das Spiel fairer zu machen. Dies sei der Job von Konami. Wenn wir seine Aussagen mit anderen Sportarten vergleichen, sehen wir direkt, dass er in gewisser Weise Recht hat. In der Formel 1 gibt es beispielsweise klar stärkere Autos Die Teams dieser Autos würden niemals ihre Wagen absichtlich schlechter bauen, um ein faires Rennen zu gewährleisten. Der Sieg ist nun einmal das wichtigste Ziel! Doch stimmt das wirklich immer?


Play for fun?


Wenn ich Spieler sehe, die ihre Sylvan-, Hero-, Noble Knight- und Gadget-Decks auf ein Turnier bringen, kann man schwer argumentieren, dass sie das Spiel spielen, um zu gewinnen. Diese Spieler beschweren sich häufig über den Power Creep und wollen nicht wahrhaben, das das Spiel im Grunde genommen nun einmal unfair ist. Makrokosmos und Dimensionsriss hindern manche Themen sogar daran, überhaupt mitzuspielen. Dies akzeptieren viele Spieler, auch wenn sie sich wünschen, dass die Liste der verbotenen und limitierten Karten diese Ungerechtigkeit ändert und Karten verbietet, die zu stark sind. Wenn sie nun aber gegen einen Gegner spielen, der – mit der Intention seine eigene Gewinnwahrscheinlichkeit zu erhöhen – sie anlügt, könnte es passieren, dass sie den Spaß an dem Spiel schnell verlieren und dem Spiel dem Rücken zukehren.


Patrick Hoban würde sicherlich behaupten, dass diese Spieler natürlich gar nicht an den vorderen Tischen sitzen werden. Diese pauschale Aussage ist meiner Meinung nach falsch. Es gibt sicherlich auch genug Spieler, die das Nekrozdeck spielen, weil es ihnen Spaß macht. Diese Spieler würden sich sicherlich freuen, wenn sie ein Spiel ohne den Dschinn spielen könnten. Die Aktion von Patrick Hoban raubt diesen Spielern aber nicht nur die Chance, das Spiel zu gewinnen, sie nimmt ihnen auch den Glauben an die Spielerschaft. Patrick Hoban sieht die Szene zu sehr aus einem einzigen Blickwinkel. Für ihn gibt es nur die kompetitiven Spieler, die alle Mittel einsetzen, um das Spiel zu gewinnen. Ich hingegen habe auf einem Turnier auch schon einmal mit einem Gegner abgesprochen, dass wir das ganze Side Deck in unser Deck mischen und blind 15 Karten wieder herausnehmen. Wenn ich davon ausgehe, dass mein Deck das stärkere Deck ist, ist dies sicherlich – laut Hoban – eine dumme Aktion. Der Spaß, den dieses Spiel gebracht hat, kann mir aber niemand nehmen.

Weiterhin frage ich mich, warum häufig Spieler ihren Gegnern die Chance geben, einen falschen Zug zurückzunehmen, wenn sie doch nur spielen, um zu gewinnen. Diese nette Art könnte dazu führen, dass man das Spiel noch verliert. Auf der deutschen Meisterschaft 2010 konnte ich in den Tops beobachten, dass der spätere Sieger Vinzent Reckling seinem Gegner einen Zug zurücknehmen lassen hat, weil er vergaß, dass Vinzent Verbotene Lanze aktiviert hatte. Dies würde gegen Hobans Argumentation sprechen.


Die Folgen


Klar ist, dass die Aktion im Netz so schnell bekannt gemacht wurde, dass nun fast jeder Turnierspieler von ihr gehört hat. Wenn man jetzt auf einem Turnier gefragt werden würde, ob man ohne den Dschinn spielen möchte, wird man sicherlich Gegner sehr skeptisch gegenüber seinem Gegner sein und dieses Angebot ausschlagen, da einige Spieler versuchen werden, diese Taktik nachzuahmen. Im Grunde genommen werden die Spieler also aufmerksamer und überlegen sich nun öfter, ob sie ihrem Gegner wirklich trauen können.

Weiterhin wird diese Aktion sicher dem Ruf von Patrick Hoban geschadet haben. Die meisten Yu-Gi-Oh! Spieler, die ich befragt habe, fanden die Aktion ziemlich schrecklich und das Meinungsbild aus dem Internet scheint ähnlich zu sein.

Eine wichtige Folge für die Schiedsrichter aus dieser Aktion wäre, dass die Tournament Policies deutlicher formuliert werden. Ich glaube nicht, dass es im Interesse von Konami ist, Regeln zu haben, die man nicht anwenden kann, weil sie nicht klar genug formuliert sind.


Gut oder Schlecht?


Wie ihr im Artikel lesen konntet, bin ich nicht der größte Fan der dieser Tat. Ich muss aber zugeben, dass einige der Argumente von Patrick Hoban immerhin diskutierbar sind. Im Grunde genommen hat Hoban geblufft. In anderen Situationen ist das Bluffen in Yu-Gi-Oh! akzeptiert und ein Spieler, der dies gut kann, wird meistens sogar als ein guter Spieler angesehen. Wenn man Hobans Aktion offiziell verbieten würde, müsste man theoretisch also auch das Bluffen verbieten. Dies würde meiner Meinung nach aber dem Spiel stark schaden. Trotzdem glaube ich, dass seine Aktion moralisch schlecht ist. Er zeigt damit, dass sein Ansehen als Spieler ihm nichts wert ist. Der Sieg im Spiel bedeutet ihm mehr als seine Vorbildfunktion. Wenn man seine Tat utilitaristisch bewertet, kommt man jedenfalls relativ klar zu der Konklusion, dass sie ethisch als falsch zu bewerten ist. Das Prinzip des Utlitarismus ist: “Handle so, dass das größtmögliche Maß von Glück entsteht“. Das Glück bezieht sich dabei auf die Masse aller Menschen und nicht auf eine Einzelperson.

Hobans Aktion nutzt ihm, da es seine Gewinnwahrscheinlichkeit erhöht und einigen anderen, die ihn kopieren und dadurch auch häufiger gewinnen können. Seinen Gegenspielern schadet es, weil sie nicht mehr gewinnen. Zusätzlich schadet die Tat aber auch der Community, da die Spieler nun viel misstrauischer sein werden. Aus diesem Grund denke ich, dass diese Aktion zwar als legal, ethisch aber falsch zu bewerten ist.

Wie ist eure Meinung zu diesem Thema? Würdet ihr auch alles tun, um zu gewinnen oder glaubt ihr, dass Patrick Hoban etwas Falsches getan hat? Habt ihr eure Gegner selber schon einmal ähnlich angelogen? Über Feedback würde ich mich diesmal besonders freuen!


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