Wir widmen uns heute einem relativ leidigen Thema: Ressourcen. Für die meisten Yu-Gi-Oh! Spieler sieht der Fall relativ einfach aus: 'außer Handkarten gibt es keine Ressourcen' lautet eine landläufige Meinung. Bei erfahreneren Spielern kommt dann eine Aufteilung in Hand- und Feldkarten hinzu, Lebenspunkte und meistens auch noch Deck, Friedhof und die aus dem Spiel entfernten Karten. Ich werde mich heute einer etwas differenzierteren Betrachtungsweise bemühen. Bevor wir aber loslegen, möchte ich Euch folgende Grundlagenlektüre empfehlen:

Ein Gedankenexperiment


Ich möchte mit einem Gedankenexperiment anfangen, welches mich vor vielen Jahren einmal extrem weiter gebracht hat. Nehmen wir einmal an, es gäbe in Yu-Gi-Oh! Nur eine einzige erlaubte Karte: Vorse Raider! Wie sähe das Spiel aus? Derjenige, der als erstes anfangen darf (nennen wir ihn Tobias), würde einen Plünderer in Angriffsposition beschwören und abgeben. Der Gegenüber (in Ermangelung von Kreativität wird dieser Alan heißen) kann nichts anderes machen, außer mit seinem eigenem Angreifer in das gegnerische Monster zu rennen um beide zu zerstören. Nun kann Tobias für 1900 Schaden angreifen und wird, da Alan immer nur ein Monster per Doppelkill entsorgen kann, das Spiel gewinnen. Das Auswürfeln entscheidet also, wer gewinnen wird. Damit sind wir zwar nicht allzu weit entfernt von diversen Formaten, die wir früher hatten, wäre aber auf Dauer wohl etwas eintönig.


Fügen wir dem Spiel also eine weitere Karte hinzu: Sakuretsu Armor. Diesmal darf Alan anfangen. Er beschwört eine Vorse Raider und setzt hinten eine Sakuretsu Armor. Welche Optionen hätte Tobi an dieser Stelle? Er könnte jetzt selbst ein Monster für einen Doppel-Kill beschwören, würde dann sein Monster an die Fallenkarte verlieren. Da er aber irgendwann an dieser Falle vorbei muss (schließlich will er die gegnerischen Lebenspunkte auf 0 bringen) ist das relativ egal. Er greift also an und verliert sein Monster. Er settet dann zwei Karten verdeckt (er könnte sogar noch mehr setten, einen Heavy Storm hat er nicht zu fürchten) und gibt ab. Alan beschwört ein weiteres Monster und verliert beide an Tobis Fallen. In dem Moment, in dem einer der beiden Spieler keine Fallenkarte hätte, um ein gegnerisches Monster zu entsorgen, würden wir wieder zum ersten Szenario zurückkehren. Vermutlich würde das Format darin ausarten, dass beide Spieler jeweils 60 Rüstungen in ihr Deck integrieren[1]. Diesmal gewinnt nicht derjenige, der anfängt, sondern derjenige, der als zweites startet. Auch nicht viel besser als das Raider-Format.



Das theoretische 5-Karten-Format


Bringen wir drei weitere Karten in unseren Kartenpool ein: Heavy Storm, Shield Crush und Mystical Elf. Aufgrund von Heavy Storm sind die Fallenkarten keine sichere Verteidigung mehr. Auch die Mystische Elfe wäre dank Shield Crush sehr leicht zu entsorgen. Aber wie sieht das perfekte Deck in diesem Format aus?


Nehmen wir vereinfacht an, beide Spieler (wieder Alan und Tobi) hätten jeweils 5 Karten auf der Hand, von jeder erlaubten Karte jeweils ein Exemplar. Tobi beginnt und settet seine Elfe sowie eine Rüstung. Was macht Alan in dieser Situation? Er wird mit seinen beiden Zauberkarten sowohl das Monster als auch die verdeckte Fallenkarte entsorgen. Dann wird er mit seinem Vorse Raider für 1900 Schaden direkt angreifen, seine Sakuretsu Rüstung setten und abgeben. Tobi wird jetzt ebenfalls mit dem schweren Sturm die Rüstung entfernen und mit seinem Vorse-Raider das gegnerische Monster im Doppelkill zerstören. Wenn wir nachgezogene Karten außer Acht lassen, hat er jetzt noch einen Shield Crush auf der Hand, während Alan eine Elfe hat. Dieser würde jetzt mit seiner Elfe immer wieder angreifen, da Tobi mit seinem Shield Crush nichts dagegen machen könnte. Hätte er stattdessen auf den Shield Crush verzichtet und stattdessen Sakuretsu Rüstungen ins Deck genommen, könnte er sich gegen dieses Monster erwehren und evtl. mit einem nachgezogenen Vorse Angreifer zum Gegenschlag ausholen.


Das große Problem ist: er kann auf den Einsatz eines Shield Crush nicht verzichten. Er hätte sonst keine Möglichkeit, an einer mystischen Elfe in Verteidigungspostion vorbei zu kommen. Selbst wenn er Shield Crush verwendet, kann dies schnell zum Problem werden. Wer sagt, dass er immer dann einen Crush zieht, wenn er einen braucht? Schlimmer noch: was, wenn er bereits alle Shield Crush aufgebraucht hat (zum Beispiel wer der Gegner einen Plünderer als Elfe geblufft hat), der Gegner aber eine Elfe in Verteidigungsposition liegen hat?



Grenzfälle des 5-Karten-Formats


Wir betrachten Decks mit jeweils 15 Karten. Das Meta-Deck sei wie bei der ersten Überlegung ein Deck aus je drei Exemplaren aller spielbaren Karten. Betrachten wir einmal die Grenzfälle dieses Formates, d.h. Decks, welche jeweils aus 15x derselben Karte bestehen. Dass ein Deck aus 15x Heavy Storm ('Plus-Control') oder 15x Shield Crush unspielbar ist, sollte jedem einleuchten: keine Möglichkeiten, seine Lebenspunkte zu schützen; keine Möglichkeiten, dem Gegner Lebenspunkte zu nehmen. Wie wäre es mit einem Deck aus 15x Vorse Raider? Dieses 'Kaiba Style Beatdown' würde kläglich an einer einzigen Mystischen Elfe scheitern.


Für unsere Überlegung interessanter wird da schon ein Deck aus 15x Sakurestu Armor: Toby, welcher mit seinem geliebten Meta-Deck spielt, hätte mit Heavy Storm genau drei Gelegenheiten, ungefährdet anzugreifen. Die einzige Möglichkeit gegen ein solches 'Trap-Nightmare-Deck' zu gewinnen besteht darin, jede Runde ein Monster zu beschwören und nicht anzugreifen. Erst, wenn er mindestens zwei Vorse Angreifer auf dem Feld hat, darf er einen seinen schweren Stürme aktivieren. Denn nur mit einem Angriff von zwei Monstern gleichzeitig hat er bei dreifacher Ausführung die Chance, den Gegner unter 8000 Lebenspunkte zu drücken.


Betrachten wir als letzten Grenzfall ein Deck bestehend aus 15x Mystical Elf. Im Prinzip hätte Tobi genau 3 Runden Zeit, den nötigen Schaden zu verursachen. Sobald die vierte Elfe in Verteidigungsposition liegt, hätte er keine Gelegenheit mehr, das Spiel zu wenden, da er nur drei Shield Crush zur Verfügung hat. Diese drei Karten auch wirklich in der ersten Runde zu ziehen, könnte jedoch schwierig werden.


Nun haben wir ein 'Total-Defense-Deck' ausgemacht, welches eine echte Gefahr für das ausgemachte Meta-Deck sein könnte. Passen wir dieses also entsprechend an: wir haben festgestellt, dass wir nur einen Heavy Storm brauchen, um gegen ein 'Trap-Nightmare-Deck' zu bestehen. Ersetzen wir zwei Heavy Storm durch zwei Shield Crush, so haben wir die Möglichkeit, unser Spielfeld mit Vorse-Plünderern zu besetzen und in einem einzigen Zug, sämtliche Fallen des Gegners, alle 5 Verteidigungsmonster und die feindlichen Lebenspunkte auszulöschen. Das ganze setzt nur ein vorsichtiges Spiel voraus.


Wer Spaß daran hat, kann sich jetzt überlegen, wie man ein solches Deck wiederum aushebeln könnte oder weitere Karten in dieses Format integrieren. Oft werdet ihr dabei in die Situation kommen, das ihr Karten integriert, die eine explizite Antwort in Form einer anderen Karte erfordern. So wäre das 5-Karten-Format ohne Shield Crush beispielsweise unspielbar.



Die Pointe


Was hat dies alles nun mit Ressourcen zu tun? Wir haben am Beispiel des 'Total-Defense-Deck' gesehen, dass die Anzahl der Handkarten nicht immer zwingend die wichtigste Grundlage des Spielerfolgs sein sollte. In diesem Beispielformat existieren praktisch nur 1:1 Täusche. Spielentscheidend ist nicht der Kartenvorteil sondern die Zusammenstellung des Decks und natürlich auch das Glück beim Ziehen der Karten. Spielentscheidend ist nicht die Anzahl der Handkarten, sondern die Anzahl der Karten, die man sinnvoll einsetzen kann. Viele Decks arbeiten ganz gezielt darauf hin, die Möglichkeiten des Gegners einzuschränken. Die bekannteste Variante ist hier das klassische Burner-Deck. Früher hatten die meisten Decks nur wenige Möglichkeiten gegnerische Zauber- oder Fallenkarten zu zerstören. Meistens beschränkte sich dies auf Breaker the Magical Warrior, Heavy Storm und Mystical Space Typhoon. Konnte der Gegner zum Beispiel durch Gravity Bind am Angreifen gehindert werden, waren fast alle seine Karten nutzlos. Wenn die wenigen Möglichkeiten Fallenkarten zu zerstören zum Beispiel mit Solemn Judgement geblockt werden konnten, hatte der Gegner keine Chance mehr, das Spiel zu drehen. Im Prinzip haben wir hier dasselbe Problem, wie mit der Mystical Elf, nur in komplexerer Umgebung.


Das Grundprinzip eines erfolgreichen Decks ist nicht nur das Erwirtschaften von Kartenvorteil sondern auch die Möglichkeit, den Gegner vor ein Problem zu stellen, welches er nicht lösen kann. Man kann nun versuchen, die Ressource 'Karten' in neue Kategorien einzuteilen: 'Monster-Removel', 'S/T-Removel' oder 'unüberwindbare Monster'. Wie sinnvoll eine solche Einteilung sein kann, zeigt ein ebenfalls historisch bedeutsames Beispiel: die Monarchen rund um Thestalos the FirestormMonarch vereinten die Möglichkeit Kartenvorteil zu erwirtschaften mit der Möglichkeit, dank Soul Exchange oder Zaborg the Thunder Monarch gegnerische Monster entsorgen zu können. Gleichzeitig stellten die Monarchen mit ihren 2400 Angriffspunkten ein im Kampf unüberwindbares Hindernis dar und zwangen den Gegner seine eigene Ressource 'Monster-Removel' einzusetzen. Ein gegnerisches Monster im Kampf zu besiegen ist nicht nur deswegen besser, weil man +1 macht, sondern auch, weil man sich eine Ressource spart, die später einmal wichtig ist.


Heutzutage arbeiten moderne Dark Skill Drain Decks nach einem ähnlichen Prinzip. Sie rauben (im wahrsten Sinne des Kartennamens) dem Gegner dank Skill Drain Möglichkeiten auf eigene Bedrohungen wie Stardust Dragon zu antworten. Schwachstellen in der gegnerischen Ressourcenauslegung zu finden, ist eine der größten Herausforderungen im TCG. Manche Decks, wie Umut Serins Zombiesworn vom letzten Fortune Tour Finale, sind zum Beispiel anfällig gegen eine Karte wie Colossal Fighter. Wieder andere haben Probleme mit Bottomless Trap Hole oder Royal Decree. Gehen dem Gegner die Antworten aus, verliert er. Glechzeitig muss so ein Deck gegen eine Vielzahl anderer Decks bestehen und stabil laufen. Das Auffinden solcher Schwachstellen ist im modernen Yu-Gi-Oh! Spiel aufgrund universeller Antworten wie Dark Armed Dragon, Phoenix Wing Wind Blast oder den vielen Synchromonstern deutlich schwerer geworden. Gleichzeitig ist es damit auch herausfordernder geworden.


Viel Spaß beim Tüfteln über Euren Decks wünscht,


Nimrod Hellfire





[1] 2222-Karten Decks wurden nach einer gewissen Aktion auf einer gewissen Deutschen Meisterschaft leider verboten. Die Argumentation war damals, dass man nicht genug Zeit zum Mischen hätte. Das würde sich bei einem 2222-Sakuretsu-Deck natürlich erübrigen. Ich habe damals direkt daneben sitzen dürfen und konnte 5 Minuten nicht spielen, weil ich mich so bepisst habe. Ich habe das erste Duell in der Runde auch direkt wegen Konzentrationsproblemen verkackt, konnte das ganze aber noch zu einem 2:1 drehen.

 

Antworten 19

  • Juhu, Spieltheorie^^


    Geiler Artikel, gut geschrieben, und es sollte wohl auch der Mehrheit einleuchten.


    MfG
    meisterjäger

  • Hi,


    gleich vorweg: ausgezeichneter Artikel, das Beispiel mit dem 5-Karten-Format war sehr einleuchtend und zugleich irgendwie... ernüchternd. Weil sich unser Spiel tatsächlich auf dieses Prinzip reduzieren lässt, ob da jetzt 5 verschiedene Karten oder 40 im Spiel sind, macht zwar in der Theorie einen Riesenunterschied, da es mehr unterschiedliche Fälle gibt, in der Praxis bleibt aber fast alles beim Alten. Aber das ist ganz sicher nicht deine Schuld und es ändert nichts an der Qualität des Artikels ;)


    Grüße,



    Alan




    PS: Tod (oder zumindest BAN!!!) den Universalantworten!!!

  • schöner artikel. inspirierend und leicht verständlich dank der guten erklärung

  • schöner Artikel, der imo noch tiefer hätte gehen können. die Einleitung ist sehr ausführlich und als es dann spannend wird ist der Artikel auch schon zu Ende.

  • Erstklassiger Artikel^^


    Das 5 Kartenbeispiel war gut und ausführlich erklärt und zeigt das Yugioh das ist, was von vielen falsch verstanden wird: Ein Spiel zur Strategie und Analyse.
    Dennoch muss ich langerlulatsch zustimmen; der Artikel hätte länger sein können. Außerdem finde ich, dass du nicht nur indirekt mit dem Beispiel, sondern auch direkt an heutigen Decks hättest zeigen können, wie man mit so einer Analyse am besten anfängt; gut das Beispiel zeigt das zwar, aber die unerfahrenen spieler dürften trotzdem aufgeschmissen sein, wenn sie jetzt nur mit bloßer Theorie dastehen.

  • Eine noch interessantere Möglichkeit ergibt sich, wenn man statt des Shield Crushs einen Nobleman of Crossout benutzt. Denn dann müsste man jedes gesetzte Monster sofort Crossouten, denn wenn es eine Elfe wäre, in die man reinrennen würde, hätte man sofort keine Chance mehr auf den Sieg^^

  • sehr schöner artikel hat mir gefallen... davon kann es gerne einen teil 2 geben wo du den letzten teil dieses artikels weiter vertiefst :)


    mfg
    spider :ssj:

  • bringt noch 2/3 leute dazu, nen zweiten teil zu fordern und ich machs. ;D

  • Ich bin der erste.(ernst gmeint)


    Der artikel hat mir sehr gut gefallen.ein intressantes Thema+gut geschrieben.:daumen:

  • Ich kann mich Ryko nur anschließen, ne Fortsetzung wär ne coole Sache.
    Mehr davon^^

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