Netdecking vs. Moral

Ich wunderte mich reichlich als mir vorgeschlagen wurde diese Woche über das SJ in Philadelphia zu schreiben. Nachdem ich mich mit Oli einigte er würde über die SJ in Arlington schreiben blieb mir also die folgende Woche. Mein erster Gedanke war: Was mache ich wenn da nix passiert? Die Frage, so stellte sich heraus, war dann doch berechtigt. Aber, mal wieder ein aber. Nicht ganz, denn eine wunderbare Idee mit dieser duften Einleitung macht nun Lust auf mehr.


Nun aber ran an die Materie. Wir sahen sie alle, die Decks in Arlington und nun das Resultat in Philadelphia. Ich wusste nicht ob ich mich über den dazugehörigen Thread im Forum ärgern oder freuen sollte. Da staunte ich nicht schlecht, als ich über diese fiesen Netdecker las, die es doch tatsächlich wagten Adrians Deck zu kopieren. Diese bösen Menschen! Halt! Stopp! Böse Menschen? Nun, wer nun versucht die Decks der Top 8 mit Adrians Deck zu vergleichen wird merken, dass der Shining Angel nun einen Weg in die Decks eben jener böser Menschen geführt hat. Aber gibt es noch mehr Parallelen? Nun lasst uns doch erstmal über die Basis von Adrians Deck sprechen. Jedem guten Beobachter fallen bei Betrachtung der Deckliste mehrere Sachen direkt auf. Da gibt es zum einen die Tatsache, dass die vielen Karten dem wieder aufstrebenden Spieler so gut zusagen, dass er sie direkt 3 Mal spielt und im Gegenzug Flippmonster eher gar nicht gefallen. Das Resultat war ein Deck, welches mit vielen Swarmern und Karten die Feldkontrolle bringen sollte. Neu ist diese Idee nicht, denn bereits zur ersten Weltmeisterschaft war die Mystische Tomate hoch im Kurs, Shining Angel jedoch spielte selten jmd. Eben diese schafften es nun jedoch in die Decks der Spieler auf dem SJ Turnier. Diese wollten jedoch nicht auf ihre Flippmonster verzichten, gerade da die Apprentice ein neues Ruling bekommen hat.


Schon haben wir den Konflikt. Da steht er direkt, war es nun netdecken, das Kopieren einer guten Idee oder lediglich das Zusammentragen der erfolgreichen Strategien. Schlimmer noch, ist diese Frage überhaupt wichtig? Bevor ich diese Frage beantworte möchte ich erstmal über andere Kartenspiele sprechen und deren Netdecking-Problem. Vorher basteln wir uns aber noch eine hübsche Definition vom "Netdecking":

Netdecking ist ein zusammengesetzter Begriff aus Inter*net* und Deck. Gepaart mit der englischen Verlaufsform "ing" ergibt sich dieses Wort. Es handelt sich also um die Handlung sich Decklisten aus dem Internet zu besorgen und diese zu kopieren und für sich selbst zu benutzen. Dieses Wort wird jedoch nicht so eindeutig benutzt, wie es sich erklären lässt. So ist bei Yu-Gi-Oh! bereits das Kopieren einer Strategie "Netdecking", eben diese Grenzen will ich nun neu ziehen.


Als ich mit dem Pokemon TCG anfing gab es kaum etwas über das Spiel im Internet zu lesen noch den Ansatz einer Coverage. Daraus folgte, dass jeder seine Decks selber bauen musste und man kaum Gelegenheiten zum übernehmen von Decklisten hatte. Natürlich gab es einen regen Austausch über die Stärke von Karten, aber gerade durch das Fehlen eines Decks, das es zu schlagen galt gab es auch keine Decklisten, die man suchte, um sie zu kopieren. Es gab also kein Netdecking.

Bei Magic sah der Support im Internet hingegen schon völlig anders aus. Durch die hohe Spielerzahl gab es auch im Internet einen regen Austausch. So wurde es völlig normal, dass es veröffentliche Decklisten gab, welche auch fleißig kopiert wurden. Dies störte Niemanden und ist nach wie vor an der Tagesordnung. So gibt es z.B. stets das Deck des Weltmeisters zu kaufen, welches turnierillegale Karten enthält, aber gerade für Spiele außerhalb von Turnieren zum testen geeignet sind.

Bei VS System ist die Sache etwas trickreicher, denn auch hier gibt es Decklisten, welche fleißig kopiert werden, aber durch das riesige Metagame gibt es so viele Möglichkeiten und Varianten für die Details, dass selten ein Deck 1 zu 1 auf einem Turnier wieder zu finden ist. Zusätzlich ändert sich das Format bei VS System ähnlich wie Magic sehr häufig, so dass hier viele Spieler auf den Support im Internet setzen um so mithalten zu können.


Nach diesem kurzen Einblick in andere Kartenspiele lasst uns zu Yu-Gi-Oh! kommen. Ich habe es oben bereits angeschnitten, Netdecking ist bei Yu-Gi-Oh! verachtet und wird als schlimmeres Vergehen als Trashtalk und viele weitere Unsportlichkeiten gehandelt. So wurde z.B. Michel 'Mastakillaz' Grüner fast mehr beschimpft er habe die Deckliste von Emon kopiert, als dass man ihm zu seinem Sieg auf der Deutschen Meisterschaft 06 gratulierte. Diesen Ausgang hatte niemand erwartet und im Vergleich zum letzten Jahr war dies eine völlig neue Erfahrung für die komplette Gemeinschaft. Michel selber, so sagte er, hat kein Problem damit, dass er eine Deckliste übernommen und verändert hat. Wieso sollte er auch? Genau dies ist der Knackpunkt an dem sich die Gemeinschaft uneinig ist. Ist das Kopieren eines Decks unehrenhaft oder einfach erbärmlich? Nun diese Frage sollte man nicht einfach aus dem Bauch heraus entscheiden, sondern sich die Argumentation angucken.


Wenn ich also im Thread zur SJ Philadelphia lese, dass sich die Benutzer des Forums darüber aufregen, dass alle Spieler ein ähnliches Deck spielten, so überlege ich wieso dies überhaupt passiert. Ist es mangelnde Kreativität, ist es die Tatsache, dass es kaum Alternativen gibt oder haben wir nicht etwas übersehen? Wer sich die Decklisten nun noch mal zur Hand nimmt ist auf dem richtigen Weg. Die Decks, so fällt einem schnell auf, sehen ähnlich aus, aber im Detail sehen wir verschiedene Ansätze und Lösungen. Ob es nun die Tatsache ist, dass eine Spiegelkraft trotz 3 Royal Decree gespielt wird oder auch das Flipps im Gegensatz zu Adrians Deck vorhanden sind. Es ist offensichtlich das lediglich ein paar Überlegungen, wie eben jene Shining Angel zu spielen, übernommen wurden. Ist dies Netdecking, wenn man Adrians Variante übernimmt und nach eigener Vorstellung umbaut?

Wie es scheint, so ist es schwer bei Yu-Gi-Oh! neue Taktiken und vor allem durchsetzungsfähige zu etablieren. Woher kommt dies? Adrian und viele Weitere machten es vor, man bastelt sich ein duftes Deck und auch dieses kann funktionieren. So scheint es eher eine Blockade zu sein, die Spieler bei alt hergebrachten Strategien verweilen lässt. Das Testen neuer Strategien findet durchweg statt, aber kaum jemand traut sich diese auch auf Turnieren umzusetzen. Das Resultat ist ein Metagame, das von einer Deckart dominiert wird. Eben jenes wird von allen als langweilig und öde beschrieben.


Kommen wir nun aber zur grotesken Stelle. Was aber passiert wenn nun wie in unserem Beispiel, eine neue Idee aufkeimt und diese in der Coverage hervorgehoben wird. Das Metagame verändert sich, plötzlich wird an den Decks wieder rumgebaut und diese Decks gewinnen dann quasi auch noch nebenbei Turniere. So geht es nun nicht. Wie dreist, diese fiesen Nachbauer. Nun was ist eigentlich passiert? Wir wollten ein neues Metagame und plötzlich ändert sich eben dieses. Wieso kann man sich nicht darüber freuen? Wieso ist es in Deutschland verschrien Decks, bzw. deren Ideen zu kopieren? Es ist doch genau das was wir uns alle wünschen, mehr Abwechslung.

Ich sprach vor 2 Tagen mit einem Engländer und befragte ihn dazu, er überlegte ein wenig und kam zu dem Schluss, dass sowohl in England, als auch in den USA Netdecking zum Spiel dazugehört. Es ist keineswegs der Fall, dass es akzeptiert, sondern lediglich toleriert wird. Jedoch sind wir von dieser Position weit entfernt. Wieso dies in Deutschland so ist, das kann ich nicht begreifen, dafür jedoch erklären wieso Netdecking eine solch wichtige Handlung geworden ist.

Im Streben nach Siegen und Erfolg wurde es zusehends schwieriger mit den großen Spielern mitzuhalten. Die Konsequenz war klar, man brauchte eine Möglichkeit oben mitzuhalten. Wer erfolgreiche Decks kopiert hat direkt 2 Vorteile. Solange das Deck unbekannt ist, hat man einen Vorteil durch das Ausnutzen strategischer Vorteile und man braucht sich keine Gedanken zum Deckbau zu machen. Eben jene Gedanken die sich bereits der Deckerbauer schon machen musste, wie z.B. Adrian hier hervorragende Arbeit mit den Shining Angel bewies. Man kann sich quasi darauf verlassen das dieses Deck erfolgreich sein kann, denn die Top8 sind schon ein kleiner Erfolg für die meisten Spieler. Da Decks oft von vielen Spielern gemeinsam gebaut wurden braucht man sch auch nurnoch selten über den Deckbau Gedanken machen.

Schon sind wir beim moralischen Ansatz. Ist es verwerflich Decks zu spielen, welche man nicht mal selber im Ansatz gebaut hat? Eine Frage, die wohl kaum mit einer klaren Antwort behaftet ist, denn es gibt spannende Konsequenzen für eben jede Netdecker. Durch das Nachbauen solcher Decks verliert man schnell die Fähigkeit eigene Decks zu bauen und viel schlimmer noch, den Überblick über das Metagame. Denn wer baut sich dann schon mal z.B. ein Makrokosmosdeck um zu testen wogegen es effektiv ist, aber mit welchen Decks es Probleme hat?


Zusammenfassend lässt sich also sagen, das lediglich deutsche Spieler ein Problem mit Netdecking haben und dies in einer unbegreiflich uneinsichtigen Art und Weise. Keineswegs sollten wir uns alle dem Netdecking hingeben, aber was sollte unser Ziel sein? Gibt es überhaupt einen richtigen Weg? Nun, ich denke die Mitte ist wie so oft perfekt wenn nicht sogar göttlich. Denn sowohl das Wissen um Decks und deren Details ist wichtig, als auch die Fähigkeit eigene Decks zu bauen.

So bewies Michel Grüner eben jenes und schaffte damit den Durchbruch auf der deutschen Meisterschaft. Im Falle der SJ Philadelphia zeigte sich eben auch dies. Ich staunte auch nicht schlecht, dass Shining Angel einen Durchbruch schafft, aber keineswegs würde ich hier von bösen Netdeckern sprechen. Es ist nur natürlich, das Streben nach dem perfekten Deck und dem perfekten Spiel gehört stets dazu und ist ein durchaus gutes Ziel.



Ihr seid gut im Deckbau und wollt es beweisen? Ihr wollt euch mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft messen und zeigen, dass ihr das Zeug zum guten Deckbauer habt? Hier findet ihr die Regeln für den von eTCG und UDE organisierten Deckbaukontest. Versucht ein Deck zu bauen welches diese Regeln perfekt für sich nutzt und damit den ehrenwerten Erfolg in diesem Wettkampf erhält.


Wenn ihr euch über diesen Artikel austauschen wollt so könnt ihr dies auch in diesem Thread tun. Ich würde mich freuen.


Edgar Block