Community, Coverage & Chancen

Vorwort: Ich möchte mich an dieser Stelle entschuldigen, dass ich meine Kolumne vor zwei Wochen wortlos ausfallen ließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen Artikel vorbereitet, der Kristopher Perovics Thesen und Argumente analysiert und relativiert hätte. Aber ich merkte recht schnell, dass ich damit genau das getan hätte, wofür ich in manchen der letzten Ausgaben meiner Kolumne zurecht kritisiert wurde - zu viel zu kurz abgehandelt. Außerdem hätte ich wohl genau den wunden Punkt getroffen, den Perovic auch ansprach: Dass es zu wenige Artikel etc. gibt, die die Community als solche wirklich weiterbringen - der Artikel wäre wohl eine Zusammenfassung von Perovics Argumenten inklusive eigener Gedanken geworden, und somit hauptsächlich für diejenigen interessant, die die Debatte nicht so intensiv verfolgt haben. Wirklich konstruktiv wäre das nicht gewesen. Aus diesem Grund habe ich den Artikel "zurückgestellt" und präsentiere ihn nun in anderer Form. Viel Spaß damit (ich hoffe, er bringt "uns" als Community auch wieder ein Stück weiter)!


Kristopher Perovic veröffentlichte vor wenigen Wochen einen Artikel (und kurz darauf einen zweiten), in dem er quasi zum Rundumschlag gegen die Yu-Gi-Oh! TCG Community ausholte: Er kritisiert, dass es heutzutage keine bzw. kaum noch "Superstars" wie früher mehr gibt, die Vorbilder sein können, was die Spielintelligenz oder Kreativität angeht. Dies hängt seiner Meinung zufolge auch mit dem Verschwinden von metagame.com{{Das war zu Zeiten von UDE, dem früheren Vertreiber und Organized Play Veranstalter, die Seite mit den Coverages von amerikanischen Großturnieren und Artikeln zu Spiel- und Deckbaufragen.}} zusammen. Zudem gäbe es heute Videos und Artikel zwar in Hülle und Fülle, aber aufgrund der Tatsache, dass es leicht ist, regelmäßig Derartiges zu produzieren und zu veröffentlichen, sei die Qualität auf der Strecke geblieben - zumal man leicht Profit daraus schlagen könne.


Ich habe mir für diesen Artikel zwei Punkte, die direkt oder indirekt mit seinem Artikel zu tun haben, herausgepickt: Im ersten Teil geht es um die Rolle der Community; daraufhin werfen wir noch einen Blick auf die Turnierberichterstattung, bevor ich abschließend Chancen und Möglichkeit erörtern will.


Community


Bevor wir uns mit neuen Ideen beschäftigen können, müssen wir uns zunächst über die Zusammensetzung der Community Gedanken machen: Den Großteil machen Gelegenheits- oder sogenannte "Spaß"-Spieler aus. Diejenigen, die das Spiel "professionell", also auf dem höchsten Wettbewerbsniveau, betreiben wollen, sind dagegen eher eine Minderheit, zumal es noch andere Gruppierungen wie die Sammler gibt. Auf einer YCS mit 1000 Spielern sind eben nicht 1000, die den realistischen Anspruch haben, das Turnier gewinnen zu wollen, sondern eher nur um die 100, vielleicht auch etwas mehr. Dasselbe Bild spiegelt sich regional und lokal in den allermeisten Fällen genauso wieder.


Aus diesem Grund ist es aus Sicht Konamis nur allzu verständlich, dass man nicht den "metagame.com"-Weg weitergeht (d.h. Artikel und Coverages mit den immerselben Teams und "Stars"), sondern eine eigene Richtung einschlägt und zwar die, die für den Großteil der Community relevant ist. In dem Zusammenhang ist es außerdem erwähnenswert, dass das genau die Gruppierung ist, die am meisten und ehesten Geld für die Produkte ausgibt - wettbewerbsorientierte Spieler kaufen oder besorgen sich die Karten, die sie benötigen, in der Regel einzeln von anderen Spielern oder von Händlern. An all dem gibt es auch gar nichts auszusetzen, das soll keine Kritik sein; man muss sich nur erst einmal der Tatsache bewusst sein, dass es aus wirtschaftlicher Sicht einfach nur sinnvoll ist, so vorzugehen.


Zurück zu Perovic: Natürlich ist es wahr, dass es heutzutage mehr Videos und Artikel gibt, von denen ein beachtlicher Teil nicht wirklich sehens- oder lesenswert ist. Das hängt mit der Digitalisierung und Vernetzung der heutigen Gesellschaft zusammen; nie war es einfacher, solches Material zu produzieren und anschließend zu veröffentlichen. Es ist überhaupt nichts Schlimmes daran, sich daran mal auszuprobieren, und am Ende vielleicht herauszufinden, dass man für etwas Talent hat oder eben eher weniger. Nur kommt dann die Community ins Spiel: Sie muss entscheiden, was sie qualitativ für ansprechend und wertvoll genug hält. Dazu ist Feedback notwendig - leider ist das Feedback im Internet nicht immer hilfreich, aber dieses Problem ist an anderen Stellen, an denen man es nicht unbedingt erwarten würde (Spiegel Online etc.), genauso zu sehen. Zunächst muss es aber Personen geben, die sich trauen, etwas zu produzieren, und auch da sind wir wieder bei der Community. Man kann diese Leute nicht aus einem Hut zaubern, sondern sie müssen mit eigenen Ideen voran gehen und das umsetzen, was sie oder "ihre" Gruppierung sich wünschen. Die Möglichkeiten, das dann ansprechend zu veröffentlichen und damit Erfolg zu haben, sind heute wie bereits erwähnt größer denn je.


Coverage


Bei diesem Punkt möchte ich gleich zu den Problemen, die Perovic anspricht, kommen: Er kritisiert, dass in amerikanischen Coverages keine Decklisten mehr veröffentlicht werden. In dieser Streitfrage stelle ich mich ganz auf seine Seite, nicht umsonst bin ich ein großer Fan davon, möglichst viele Decklisten zu veröffentlichen. Denn wie man auch in unserem Forum immer wieder mit Regelmäßigkeit beobachten, sind Decklisten das, wonach am meisten gefragt wird, insbesondere dann, wenn sie gar nicht erst veröffentlicht worden sind. Da dieses Interesse zielgruppenübergreifend vorhanden ist, gibt es aus meiner Sicht gar keinen guten Grund, die Decklisten nicht zu veröffentlichen. Daraus kann nämlich jeder etwas mitnehmen: Man kann neue Ideen für das eigene Deck finden oder einfach mal nur ein erfolgreiches Deck nachbauen, um es für sich auszutesten.


Perovic kritisiert zudem die Feature Match Auswahl; die Qualität der Spiele würde darunter leiden, dass man bewusst auf "Stars" verzichte und immer mehr auf Unbekannte setze, aus deren Spielzügen man nichts lernen könne. An dieser Stelle kann ich nur auf den obigen Abschnitt "Community" verweisen, um mich nicht zu wiederholen. Tatsache ist, dass heutige Coverages besser als früher widerspiegeln, was ein Großturnier ausmacht: Hunderte, teils gar tausende Spieler treffen aufeinander, um einerseits um den Turniersieg zu kämpfen und andererseits, oft auch in erster Linie, Spaß zu haben oder Freunde zu treffen. Allein damit lassen sich nicht nur die Feature Match Auswahl, sondern auch alle anderen Artikelformen inhaltlich begründen. Spätestens, wenn es an die Tops geht, werden auch die "professionellen" Spieler wieder mehr in den Mittelpunkt rücken, wenn sie im Kampf um den Turniersieg noch dabei sind.


Chancen


Die Frage, die wir uns abschließend stellen wollen, ist nun die nach Lösungen und Fortschritten. Im Bereich der "professionellen" Szene gibt es da das eine oder andere Überlegenswerte: Diese Gruppe an Spielern muss diejenigen unter sich finden, die bereit sind, weiterführende Artikel zu schreiben, sei es über Spielstil, -intelligenz oder Deckbau. Es gibt in diesem Bereich sicherlich viele interessante Themen, über die auch fortgeschrittene oder einfach nur an der Thematik generell interessierte Spieler gerne lesen würden. Zusätzlich könnte man damit erreichen, wieder mehr Kreativität in alle Bereiche des Spiels zu bringen, denn Artikel mit guten Begründungen und Argumenten erzeugen immer wieder neue Denkanstöße. Zwar gibt es ein paar wenige, die ab und zu solche Artikel veröffentlichen (z.B. Billy Brake, der erklärt, wieso er Insektoren wieder für konkurrenzfähig hält und wie er sein Deck aufbaut oder Jeff Jones, der einen Artikel über sein Grandsoil-Psi-Deck schrieb, welcher aber leider nicht mehr auffindbar ist), aber hauptsächlich handelt es sich um englischsprachige Artikel. Im deutschsprachigen Raum finde ich Derartiges heutzutage kaum. Umso schöner wäre es, wenn auch hier erfolgreiche, kreative Spieler sich an solchen Artikeln versuchen würden.


Ein Punkt, der gerade mit der "Problematik" der Feature Match Auswahl einhergeht, ist folgender: Man sieht kaum noch bemerkenswerte Spielzüge. Ich für meinen Teil bezweifle, dass man deutlich mehr tolle, weil kreative Spielzüge sehen würde, wenn man die Auswahl der Spiele verändert. Vieles liegt einfach auch am Metagame; je vielseitiger ein Metagame in all seinen Facetten ist, desto eher sehen wir etwas wirklich Beeindruckendes. Zudem spielt hier auch eine Rolle, dass es in jeder Runde eines Turniers höchstens ein, vielleicht auch zwei Feature Matches geben kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass gerade in einem dieser und nicht in einem der hundert anderen Spiele DER Spielzug geschieht, ist also äußerst gering, egal wie man es dreht und wendet. Daher habe ich einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn man Spielzüge realistisch konstruiert? Man könnte versuchen, ein dem aktuellen Metagame angepasstes Szenario zu erstellen und dieses in Schrift- oder Videoform festzuhalten (Eine solche Konstruktion kann indes auch aus echten, selbst erlebten Spielen entstehen!). Alternativ könnte man, ebenfalls in einem Artikel oder einem Video, zwei Spieler dieselbe Situation bzw. dasselbe Duell spielen lassen und vergleichen, welches jeweils die bessere Option war. Solche Dinge können das Spiel und die Community wirklich weiterbringen! Die Botschaft lautet aber auch: Die Community selbst muss Interesse daran zeigen und Eigenverantwortung übernehmen.


In seinem zweiten Artikel macht Perovic zum Schluss sogar noch einige konstruktive Vorschläge, die ich sehr begrüße. Würde die Turniersoftware zusätzlich zum Spieler und seiner ID noch den Decktyp eines jeden Spielers (für den internen Gebrauch) abspeichern, könnte man während des Events umfangreiche Statistiken auf eine einfache Weise erzeugen. Derzeit funktioniert das bei den Amigo-Coverages z.B. nur auf Basis "kleiner" (etwa 20% aller Decklisten) Stichproben. Nach einem Event hätte man eine riesige Menge an Daten, die man auswerten und teilweise veröffentlichen könnte. Damit könnte man auch bessere Rückschlüsse auf Stärken und Schwächen eines Decks bzw. des gesamten Metagames ziehen, wodurch eine Banned List diese Probleme exakter adressieren könnte. Im (professionellen) Sport wird Derartiges schon seit langer Zeit - hauptsächlich im Hintergrund - gemacht und in vielen Fällen führt es zu individuellen Erfolgen. Darin sehe ich auch für TCGs eine Chance.


Zu guter Letzt noch ein paar abschließende Worte über die Coverage-Situation in Deutschland: Seit der DM 2011 bin ich zusammen mit Nimrod Hellfire, der bereits ein Jahr vorher eingestiegen war, im Amigo-Coverage-Team. Ende letzten Jahres ist auch noch Gam hinzugekommen und seither haben wir wieder eine gewisse Konstanz erreicht, was die Teamzusammensetzung angeht. Das resultierte dann u.a. in der Coverage zur DM 2012, für die wir sehr viel positives Feedback erhalten haben. Wir haben sicherlich eine inhaltliche und qualitative Steigerung gegenüber 2010 und 2011 erreicht und außerdem hat Amigo mit dem Live-Pairings&Standings-Tool eine nützliche Neuerung eingeführt. Oft geforderte Features wie Live-Videos, die auch nach dem Event verfügbar sein sollen, sind auch schon in Planung. Nichtsdestotrotz ist immer auch konstruktives Feedback nützlich: Habt ihr Ideen für neue Artikelformen? Gibt es etwas, was man bei einer Coverage weiter ausbauen sollte, oder Dinge, auf die man weniger Wert legen sollte? Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr euch dazu im Feedback-Artikel äußern würdet (ebenso würde ich aber auch über Feedback zum Artikel selbst freuen :) ).


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