Mit dem Rücken zur Wand #3 -Wie ein offenes Buch

Hallo liebe User,


in der heutigen, mittlerweile bereits dritten Ausgabe dieser Artikelserie möchte ich mich mit einer hohen Kunst im Yu-Gi-Oh beschäftigen: Dem Lesen des Gegners, auch „Read“ genannt.

Was das readen so schwierig macht, ist, dass man es sich nicht durch Mathematik „herrechnen“ kann (wie zum Beispiel statistische Wahrscheinlichkeiten) oder durch simples längeres Nachdenken dann auf einmal die Hand des Gegners vor dem geistigen Auge erscheint.

Natürlich kann man durch genaues Anschauen des Friedhofs und vorherige Züge des Gegners bereits viel über dessen Optionen erfahren, aber der letzte Schritt ist oftmals Intuition, die auch oft einen guten Spieler von einem sehr guten unterscheidet.


Heute betrachten wir einen Zug, in dem der Spieler aufgrund des Friedhofs und der Entscheidungen des Gegners dessen Situation präzise erkannt hat und darauf mit einem unkonventionellen, aber sehr effektiven Zug reagieren konnte.

Die Situation findet ihr hier, es ist das Finale der Europameisterschaft 2006 und Adrian Madaj spielt gegen Vincent Wieland. Es steht 1:1, Adrian ist aber bereits deutlich im Nachteil und wird (wie sich einige vielleicht erinnern) das Match verlieren, trotzdem kämpft er um das Spiel und macht einige sehenswerte Züge, von denen ich einen hier genauer unter die Lupe nehmen will.


Adrian spielt ein Chaos-Recruiter Deck mit Royal Decree, das darauf aufbaut, die Searcher Shining Angel und Mystic Tomato in Kombination mit Creature Swap zu benutzen, um dem Gegner entweder über Spirit Reaper Handkarten zu klauen oder einfach (Feld)Vorteil zu machen. Zusätzlich waren in dem Deck noch Cyber Drache, Zaborg und Chaos Sorcerer, um möglichst schnell Druck auf den Gegner aufbauen zu können und die Royal Decree optimal ausnutzen zu können.

Vincent spielte ein relativ normales Metadeck, jedoch mit dem unglaublich einfallsreichen und skilligen Random-Cyber Stein, der an diesem Tag zu Recht gefürchtet war und einige Spiele entschieden hat.


Die Situation ist wie folgt:

Vincent hat bereits Confiscation und Graceful Charity, zweifellos zwei der definierenden Karten des Formats, gezogen und ausgespielt (im dritten Spiel hat er doch... recht gut gezogen sage ich mal).

Er hat einen Zaborg auf dem Feld, der über Adrians Shining Angel gelaufen ist, der darauf einen seiner Brüder gesucht hat, und ein verdecktes Monster.

Adrian ist nun am Zug und greift mit dem frisch gesuchten Shining Angel in Vincents Magician of Faith an, und nun hat der Niederländer die Wahl zwischen einigen Zauberkarten in seinem Friedhof:

Neben den erwähnten Graceful Charity und Confiscation hat er auch noch einen Smashing Ground, nominell ist dieser aber klar schwächer als die anderen Kandidaten. Trotzdem wählt Vincent den 1:1 Remover, und das obwohl er nicht nur mehrere Kopien der Karte spielt, sondern auch noch Zaborg, Exiled Force und Chaos Sorcerer, die den Engel ebenfalls loswerden könnten.

Aus diesem relativ unauffälligen und eher unbedeutenden Spielzug kann Adrian trotzdem einiges erkennen:

1. Sein Gegner hat offensichtlich keine andere Option, seinen Shining Angel loszuwerden, sonst hätte er den Smashing nicht genommen.

2. Der Shining Angel stellt für Vincent ein ziemlich großes Problem dar, sonst hätte er nicht Smashing statt Confiscation oder Graceful genommen.


Diese beiden Erkenntnisse bringen Adrian zu folgendem Zug (den damals in der Halle niemand verstanden hat, der im Publikum stand):

Er spielt in der Main Phase 2 Snatch Steal auf Zaborg und gibt einfach ab. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass Snatch Steal einer der größten Gamebreaker des damaligen Formats war, und wenn man damit das Spiel nicht beendet, so hat man doch entweder mit dem Monster kräftig Schaden ausgeteilt, oder es für einen Monarchen (in den meisten Fällen Zaborg) tributiert. Adrian tat in diesem Fall nichts von beidem, weswegen viele Leute dachten, er hätte seinen Snatch Steal leichtfertig verschwendet.

Das Gegenteil war der Fall: Im darauf folgenden Zug holt Vincent nur seinen Baumfrosch wieder und gibt dann ab. Nicht so das Musterbeispiel für einen durchschlagenden Gegenangriff. Vincents Problem war, dass (sein eigener) Zaborg eine höhere DEF hatte als Shining Angel (1000 zu 800) und deswegen den Smashing auf sich gezogen hätte, was aber Vincents Hauptproblem (den Shining Angel) nicht beseitigt hätte. Daher blieb ihm in diesem Fall nur die Option, seinen Zug zu beenden und zu hoffen, weitere Optionen nachzuziehen. Das ist ihm auch gelungen, seine Hand am Ende des Spiels lässt sich wohl am besten mit „Döner mit Alles“ beschreiben, aber trotzdem hat Adrian hier einen tollen Zug gemacht, der unter Umständen dazu hätte beitragen können, das Spiel nochmal zu drehen.


Man kann sich jetzt natürlich die Frage stellen: Warum hat Adrian nicht vor dem Angriff Snatch Steal auf Zaborg aktiviert und in die Magician of Faith angegriffen? Immerhin wusste er ja relativ sicher, dass sein Gegner eine in der Hand hält, immerhin wurden sie eine Runde vorher von Nobleman of Crossout getroffen, und da Vincent eine weniger entfernt hatte, als er spielte, war das relativ offensichtlich. Here's why: Er wusste, dass Vincent in diesem Fall die Graceful Charity nehmen würde, mit der er mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gute Option nachzieht. Er wusste auch, dass Vincent, wenn er ein guter Spieler ist (wovon man im EM-Finale durchaus ausgehen kann), den Smashing Ground nimmt, solange da nur der Shining Angel liegt, weil er ein sicherer Removal ist, der ihn in jedem Fall weiterbringt. Da er verhindern wollte, dass Vincent seine eh schon überlegene Hand durch eine weitere Graceful Charity noch weiter verbessert, hat er den Zug genau so gemacht, wie er ihn gemacht hat. Er hat also nicht nur einen möglichen guten Zug erkannt, sondern auch noch seinen Gegner richtig eingeschätzt und dessen Aktionen richtig antizipiert. Dieses zusätzliche Niveau an Komplexität, der zusätzliche Schritt, den Adrian hier seinem (durchaus gut mitspielenden) Gegner voraus ist, machen diesen Zug für mich wirklich außergewöhnlich.


Es ist also wichtig, euch nicht nur zu fragen „Was kann mein Gegner tun?“ sondern auch, „Wie kann ich ihn dazu bringen, das zu tun, was MIR am besten passt“. Versucht nicht nur, seine Optionen herauszufinden, sondern auch, wie ihr davon am besten profitieren könnt, indem ihr sein Wissen über eure Optionen manipuliert.

Davon ausgehend könnt ihr dann überlegen, was euer Gegner vorhat, und euch Strategien überlegen, wie ihr darauf am besten antworten könnt. Viel davon ist Erfahrung, aber vieles auch einfach Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist generell eine der wichtigsten Fähigkeiten im Yu-Gi-Oh, vor allem wenn man ein langes Turnier wie eine YCS oder eine DM spielt, ist es wichtig, die ganze Zeit konzentriert zu sein und auch auf Kleinigkeiten zu achten. Viele Spieler hätten sich gar nicht gewundert, dass Vincent Smashing über Graceful Charity und Confiscation wählt und stumpf ihr Spiel weitergemacht. Nun sitzen aber immer zwei Leute am Tisch, und ein guter Spieler spielt nicht nur sein Spiel mit seinen Karten, sondern so weit es ihm möglich ist auch das Spiel des Gegners mit dessen Karten.


Eine alte Pokerweisheit sagt: Im Poker spielt man nicht seine Karten, sondern seinen Gegner. Bei Yu-Gi-Oh! ist es zwar nicht ganz so drastisch, aber doch eine wichtige Fähigkeit, die oft den entscheidenden Unterschied ausmachen kann.


Es ist wieder mal einer dieser kleinen, unauffälligen Züge in einem von Confiscation und Graceful Charity auf Starthänden bestimmten Spiel, aber trotzdem der, der mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, weil er (im Gegensatz zu Gracefuloder Confiscation oft auf der Starthand haben) zeigt, dass Adrian verdient in diesem Finale saß. Und es unverdient verloren hat.

Aber so ist es halt bei Yugi und auch das zeigt diese Situation: Es gewinnt nun mal nicht immer der bessere.


Antworten 42

  • Verdammt, der SPielzug war letztendlich wirklich genial und ein sehr guter Read. Das ist was viele heutzutage nicht können, auch von den guten Spielern. Bzw. neigen manche falsch zu lesen, bzw. seine Entscheidung falsch zu treffen^^

  • schöner artikel und es zeigt zu was für einem guten spiel madaj auch in der lage ist
    mit persönlich gefällt deine kolumne von mal zu mal besser, da sie unterhaltsam ist und man was von ihr lernen kann (;
    mach weiter so ich freue mcih auf den nächsten artikel

  • Respekt! Wirklich sehr gelungener Artikel! Der beste hier auf etcg seid langem, meiner Meinung nach!


    Kurzweilig, guter Schreibstil und interessantes Thema.


    Hab mir vor einigen Wochen mal - eher aus Spaß - die (Final-)FMs verschiedener YCS angeschaut, und auch wenn da manchmal wirklich paar super Spielzüge, die ich sicher anders und weniger effektiv umgesetzt hätte, bemerkt habe, ist dein Beispiel schon noch ne Liga höher. Vielen Dank!


    MfG,
    Chronos

  • wow ein Artikel über einen Fast 5 Jahre alten Zug der mit Karten gemacht wurde welche alle verboten sind. Super aktuelles Thema.


    Gehen euch langsam die Ideen aus oder wo ist das Problem? Es hätten so viele gute aktuelle beispiele über ein "Read" gegeben.


    Artikel ist zwar gut geschrieben, aber das bringt nix wenn das Thema bzw. der Inhalt alt ist und keinen Bezug zu aktuellen Themen hat. Daher Artikel = Fail

  • Daher Artikel = Fail

    Ach sei still ...


    Was hat das mit der Aktualität der Karten zu tun ... das Thema wurde am Beispiel mehr als nur gut dargestellt.



    B2T: Schöner Artikel ... hab eigentlich nur gewartet, dass endlich mal so ein Thema kommt, da sich hier doch die Spreu vom Weizen trennt.
    Die allerwenigsten kapieren, wie das "Readen" wirklich funktioniert und das hier ist zwar nen wirklich gutes Beispiel, aber auch relativ simpel oder nicht?
    Hier wurde immerhin "nur" die Situation, in der der Gegner steckt, erkannt und es wurde auch absolut klug gehandelt.


    Aber "Readen" geht ja noch viel weiter ... ich frag mich nur, wieviele Leute das wirklich können und auch zu ihrem Vorteil nutzen.
    Wenn ich mir die Teilnehmer, meiner letzten Turniere anschaue und deren eigenes Verhalten, glaube ich nich, dass sich sonderlich viele Leute Gedanken darüber machen ... was aber leider Gottes auch nicht nötig war, immerhin brauchte man ja vor kurzem nur nen komplettes Samu-Deck und hatte damit eigtl automatisch nen Platz in den Tops. -.-

  • B2T: Schöner Artikel ... hab eigentlich nur gewartet, dass endlich mal so ein Thema kommt, da sich hier doch die Spreu vom Weizen trennt.
    Die allerwenigsten kapieren, wie das "Readen" wirklich funktioniert und das hier ist zwar nen wirklich gutes Beispiel, aber auch relativ simpel oder nicht?
    Hier wurde immerhin "nur" die Situation, in der der Gegner steckt, erkannt und es wurde auch absolut klug gehandelt.


    Aber "Readen" geht ja noch viel weiter ...


    Hm, ja. Es gibt noch eine andere Art von Read, aber die eignet sich nicht für so einen Artikel. Man weiß dann halt einfach irgendwie was der Gegner hat, aber das ist meistens nicht aufgrund bewusster Überlegungen, sondern eher aufgrund von Körpersprache und Erfahrung. Ich wollte halt ein Beispiel nehmen, wo man den Gedankengang des Spielers nachvollziehen kann, damit der Leser auch was "lernen" kann.


    logan777:

  • Ich sag doch das Beispiel ist super.
    Und allgemein war der Artikel sehr gut geschrieben.


    Und genau das was du eben angesprochen hast, ist der "Read" den ich meine und der auch sehr entscheidend beim Pokern ist.
    Und selbst bei Yugi wird geblufft, was sich sogar sehr einfach bemerken lässt, wenn man seinen Gegner nur mal beobachtet. :D

  • Irgendwie fänd ich aktuelle Beispiele auch besser ...


    Ich glaube btw., dass Vincent so oder so den Smashing genommen hätte, weil es die mit Abstand sinnigste Option war. Gegen ein solches Field-Control-Deck half damals nur "Mehr Removal als der Gegner haben". Angenommen Vincent hätte 18 Removals im Deck gehabt, hat er sich so ein 19. verschafft. Mit Gracefull hätte das nicht funktioniert. Heutzutage rusht man so ein Deck natürlich einfach kaputt oder lässt es von einem Gladi aus dem Turnier kicken.

  • Alte Beispiele sind wesentlich besser weil man da noch was nachvollziehen kann..jetzt ist alles durcheinander PoA 1000 synchros usw..


    Ich war dabei....wo das spiel statt gefunden hat..man hat sofort gemerkt das Madaj mehr als nur ein ygo spieler ist...man hatte das gefühl er ist ein taschenrechner und gedankenleser^^Wir haben nach denn spiel geredet nachdem seine faust abgeschwollen ist er hat noch paar gegenstände gefistet xD.
    Also er hat sich immer zeit genommen zu überlegen erstmal in gegnerischen zügen..sprich er versucht das gegnerische spiel langsam zu halten und während dessen seine nächsten züge zu überlegen und spielt in seinen turns sehr schnell somit erweckt er denn eindruck er wäre ein hau drauf spieler und hätte sowieso schlechte options..Sowas ist forgeschrittene spielkunst..das konnte er schon 2006....naja soviel ich weiss spielt er wieder extrem aktiv sprich wir werden ihn oft bestaunen können...
    Weiter zu herrn fail nimord...
    Also wenn ich an das final denke und an die mof Vincent hat als guter spieler extrem lange überlegt ob er grace oder smashing nimmt..ohne das der Zaborg bei Adrian lag..wäre der Zaborg bei Adrian würde er zu 100% Grace nehmen....und das man bei einen offenen shinning sofort smash nimmt und nicht grace ist sicher alles andere als selbstverständlich..und als der snatch mp2 gekommen ist da hättest du mal Vincent sein face und sein comment hören sollen..naja leran to play und lern am besten gleich auch noch artikel schreiben dann musste net artikel von Dill Flamen die 1320949394569964969 billionen lvl über deinen dirt shit artikel sind....die jeder auf etcg verachtet genau wie dein FACE...
    Ausserdem was ist das für ne geile aussage..


    Gegen ein solches Field-Control-Deck half damals nur "Mehr Removal als der Gegner haben


    Erstens es wurde garkein removal gespielt bis auf zaborg/cs
    Und NoC aber da du ja keine ahnung hast von denn event Madaj hat kein monster facedown gespielt oft hat er mit reaper in atk eröfnet ohne backrow...
    Aber das ist für dich auch nen fehler und noob zug..i know..


    und zum thema 2....dummheit aller erster sahne aka nimrod gayfire..


    Heutzutage rusht man so ein Deck natürlich einfach kaputt oder lässt es von einem Gladi aus dem Turnier kicken


    Deshalb stand auch Florian Citic aka Master1 auf der YCS bochum mit denn selben deck nur mit 1 carrier 1 veiler mehr....6:0...weils heut zu tage so nen shit ist..


    Nimrod bitte hör auf mit ygo...hör auf mit internet....geh in nen wald blätter zählen oder sonst was..aber bitte hör auf...mit allen anderen sachen..


    Grüße mal Andre Pulverenti und Marc Scoggins/Eugen rolif/Le van son


    Achja an alle die mich von damals kennen


    Ich bins Tim aka Airknight :)

  • Schöner Artikel über Taktik und möglichkeiten des Gegners, mir hätte ein aktuelleres Beispiel aber eher gefallen, aber alles in allem sehr gut. In der Zusammenfassung bedeutet es, zwinge deinen Gegner dein Spiel zu Spielen. :ausgezeichnet:

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