Metagamecalls oder Warum Grabwächter so erfolgreich sind 2. Teil

Bereits in der dritten Woche werden wir uns heute mit dem Überraschungserfolg der Grabwächter beschäftigen. Die beiden bisherigen Artikel können hier und hier nachgelesen werden. Von daher spare ich mir an dieser Stelle eine ewig lange Einleitung.


Am Ende des letzten Artikels hatte ich noch eine kleine Auflistung verschiedener Faktoren gegeben, die (neben dem unglaublichen Kartenvorteil den das Deck generiert) für den Erfolg des Decks maßgeblich verantwortlich waren:


  1. Der königliche Tribut

  2. Die Draw-Power

  3. Der Anti-Effekt

  4. Der Überraschungsmoment


An diesen Punkten werden wir uns heute der Reihe nach abarbeiten. Ich werde darlegen, dass der Erfolg der Grabwächter auf einen hervorragenden Metagamecall zurückzuführen ist. Die sechs Freunde haben meiner Meinung nach das – für das vorherrschende Metagame – perfekte Deck gebaut. Sie haben Schwächen in anderen Decks erkannt und geschickt ausgenutzt. Sie haben außerdem die Stärken der gegnerischen Decks erkannt und diese ausgeschaltet.


Um den Erfolg des Decks zu verstehen, müssen wir also zunächst einen kleinen Blick auf die Rahmenbedingungen werfen, auf die das Deck traf.



Eine kleine Metagameanalyse


Vor der Yu-Gi-Oh! Championship Series Atlanta hatten wir drei dominante Decks: Blackwings, X-Saber und Pflant (Quickdraw / Debris-Hime).[1] Zwar gab es noch diverse andere Decks, denen ein Erfolg durchaus zuzutrauen war, aber der Großteil der Spieler vertraute auf die drei genannten. Diese drei Decks kann man hinsichtlich ihres Tempos unterscheiden. Blackwings haben durch die vielen Swarmer ein unheimlich starkes Early-Game. Sie können früh viele Monster spielen und bekommen in der Regel dank Blackwing - Vayu the Emblem of Honor und Black Whirlwind auch ausreichend Nachschub an Monstern. Pflanzen hingegen haben ein besonders starkes Lategame. Mit den vielen Karten, die im Friedhof recycled werden können und dem allmächtigen Pot of Avarice ist das Deck im Lategame fast nicht zu schlagen. Irgendwo dazwischen sind X-Saber anzusiedeln. Sie haben zwar viele explosive Spielzüge, können aber dank XX-Saber Darksoul auch hinten heraus noch etwas reißen. Der wirkliche Vorteil der X-Saber war es, dass es zusätzlich mit glücklichen Starthänden einen OTK raushauen konnte. Das gab dem Deck in grob überschlagen 10-20% der Spiele einen Autowin. Es ist wichtig anzumerken, dass es zu diesem Zeitpunkt so gut wie kein Deck im Metagame gab, welches wirklich konstant innerhalb der ersten Züge ein Spiel entscheiden konnte.


Grob zusammengefasst kann man sagen, dass Plant-Varianten das Spiel hinauszögern wollen, Blackwings möglichst schnell gewinnen wollen und X-Sabers auf die perfekte Hand warten. Das ist stark vereinfacht aber für die heutigen Zwecke ausreichend.


Es gab eine zweite wichtige Beobachtung im Metagame vor Atlanta. Der Trend ging hin zu Trap Stun und Seven Tools of the Bandit, während der Mystical Space Typhoon mehr und mehr in die Side-Decks verschwand. Es galt, die gegnerische Back-Row gezielt auszuschalten. Bei 4 verdeckten Karten beim Gegner schien es wenig sinnvoll, einen Typhoon blind auf gut Glück zu aktivieren. Viel sinnvoller schien es, entweder die ganze Backrow lahmzulegen (Cold Wave, Trap Stun) oder einfach die Aktivierung der Karten zu negieren (Seven Tools of the Bandit).


Dieser Zustand existierte aufgrund des Umstandes, dass Removal größtenteils auf der Monsterebene verlief. Gegnerische Zauber- und Fallenkarten wurden mit XX-Saber Hyunlei zerstört. Gegnerische Monster nahmen starke Beatsticks auseinander. Enstprechend wichtig war und ist es im aktuellen Format, die eigenen Beschwörungen durchzubringen.



Die Draw-Power


Kommen wir aber zu dem Deck selbst. Das Grabwächter-Deck hat eine unglaubliche Draw-Power um an wichtige Schlüsselkarten zu kommen. Grabwächters Spion kann Grabwächters Anwerber suchen. Der Anwerber wiederum kann Grabwächters Kommandant suchen. Der Kommandant wiederum kann Necrovalley auf die Hand bringen. Mit sovielen Suchern kann man es sich leisten, nur zwei Exemplare der Spielfeldzauberkarte zu spielen. Effektiv hat man trotzdem praktisch 11 Kopien dieser Karte im Deck. Die Wahrscheinlichkeit, eine dieser 11 Karten auf die Starthand zu ziehen liegt bei beeindruckenden 87%. Die drei Exemplare von Pot of Duality erhöhen diese Wahrscheinlichkeit nochmal um etwa 5%.


Das nennt man Konstanz!


Der Topf ist aber nicht nur hilfreich, um das Tal der Toten auf die Hand zu ziehen. Es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, einen Royal Tribute auf die Starthand zu ziehen auf gut 40%. Kombiniert ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von über 35%, die Kombination Necrovalley + Royal Tribute innerhalb der ersten 2 Spielzüge aufzuziehen (!).



Der königliche Tribut


Diese Kartenkombination war für die 6 Freunde der erste ganz wichtige Schlüssel zum Erfolg. Das Grabwächter-Deck ist in der Lage, in jedem dritten Spiel alle Monster von der gegnerischen Starthand zu entfernen (!). Das ist so als würdet ihr gleich im ersten Zug einen Crush Card Virus abbekommen. Ihr verliert aber nicht nur eure Monster. Der Gegner kennt jetzt auch eure Hand und eure verbleibenden Optionen. Es wird für ihn ein leichtes sein, um diese Karten herumzuspielen.


Ein weiteres Problem ist, dass ein großer Teil eurer Zauberkarten darauf ausgerichtet ist, die eigenen Monster zu unterstützen. Trap Stun, Cold Wave und Book of Moon sind ohne eigene Monster relativ nutzlose Karten. Gegnerische Karten – seien es nun Monster oder Fallen – zerstört ihr eigentlich mit euren starken Monstern. Die habt ihr aber nicht mehr.


Kurz zusammengefasst: ihr könnt zusammenpacken, das Spiel ist vorbei.


Das Grabwächter-Deck hat damit im Metagame eine Nische besetzt, die vorher dem X-Saber vorbehalten war[2]. Frühe OTK's entscheiden Spiele, ohne das der Gegner etwas machen kann. Da dies (rechnerisch) in jedem dritten Spiel passiert, geht man praktisch immer mit einem 1:0 Vorsprung ins Match. Das ist ein Wert, von dem X-Saber nur träumen können.



Der Anti-Effekt


X-Saber und Blackwings leiden massiv darunter, dass sie vom Grabwächter-Deck auseinandergenommen werden, bevor sie ihr eigenes Spiel aufziehen können. Beide Decks sind auf ihre Hände voller Monster abgewiesen, um zu gewinnen. Das Necrovalley ganz nebenbei noch XX-Saber Faultroll, Blackwing - Vayu the Emblem of Honor und Blackwing - Blizzard the Far North blockiert, gerät da fast zur Nebensache. Auf diese Art und Weise blockiert das Grabwächter-Deck den Nachschub an spielstarken Monstern. Schon früh gehen X-Saber und Blackwing die Monster aus, so dass sie nichts mehr machen können.


Aber das Plant sollte mit frühen Störungsversuchen doch eigentlich weniger Probleme haben. Schließlich freut sich das Deck über Dandylion, Spore und Grow-Up Bulb im Friedhof. Im Laufe des Spiels müsste sich das Deck doch eigentlich erholen und gewinnen können. Aber Necrovalley setzt genau diesen Erholungsmechanismus des Plant-Decks außer Gefecht. Pot of Avarice, der Schlüssel im Lategame, kann nicht gespielt werden. Debris Dragon und Spore sind plötzlich nutzlos. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, können Grabwächter auch noch effektiv verhindern, dass Pflanzenspieler das Lategame überhaupt erreichen. Versuche einer Blockade mit Dandylion-Tokens bestraft Grabwächters Attentäter mit einem Kampfschaden von jeweils 2000.


Das Grabwächter-Deck hat also ein hervorragendes Match-Up gegen die drei meistgespielten Decks. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass das Deck auch ohne diesen Anti-Effekt funktioniert. Der Grundstein ist dabei immer noch die Draw-Engine und der Kartenvorteil. Aber nur mit diesem Effekt lässt sich die unglaubliche Dominanz in Atlanta erklären.



Der Überraschungsmoment


Zu diesen Faktoren gesellte sich dann noch der Überraschungseffekt. Die Grabwächter-Decks erwischten die meisten Spieler völlig unvorbereitet. Da der Mystical Space Typhoon so gut wie nicht mehr gespielt wurde, blieb Necrovalley dann auch immer sehr lange auf dem Feld. Der Typhoon hätte sogar einem vermeintlichen Royal Tribute entgegenwirken können, indem ein frisch aktiviertes Necrovalley gleich wieder zerstört wird. Gespielt wurde der Typhoon aber nicht. Alternativen, den Spielfeldzauber zu zerstören, gab es so gut wie keine. Icarus Attack, XX-Saber Hyunlei und Black Rose Dragon wurden von Starlight Road vernichtet.


Karten gegen Grabwächter im Side-Deck? Fehlanzeige! Das wird sich in Zukunft wohl stark ändern. Mystical Space Typhoon dürfte in vielen Decks wieder eine echte Staple werden.


Dazu kam, dass die meisten Spieler absolut keine Ahnung hatte, wie sie gegen das Deck vorgehen mussten. Das führte zu zum Teil haarsträubenden Spielfehlern. Der Sieger selbst berichtet von Fällen, bei denen Leute versucht haben, Necrovalley mit Ryko, Lightsworn Hunter zu zerstören, während Malefic Stardust Dragon auf dem Feld war (siehe Video). Die meisten werden jetzt vermutlich behaupten, dass ihnen das nie passiert wäre. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass die betroffenen Personen das auch behauptet hätten. Man sollte diesen Faktor niemals unterschätzen. Selbst sehr gute Spieler machen gegen unbekannte Decks schnell Fehler.


Aber auf diesen Vorteil wird das Deck nicht mehr lange zurückgreife können.




Schlusswort


Die sechs Freunde hatten das Metagame verstanden. Sie hatten Stärken und Schwächen der Top-Decks erkannt. Sie nutzten diesen Wissen und verbanden es mit elementaren Regeln des Deckbaus. Heraus kam ein überragender Triumph. In Zukunft werden die Grabwächter allerdings um einen Platz unter den Top-Decks kämpfen müssen. Die Spielergemeinde wird sich auf die neue Gefahr einstellen und entsprechend reagieren.


Allerdings hat das Grabwächter-Deck eine so perfekt laufende Vorteilsmaschinerie, dass ich kaum an ein dramatisches Scheitern glaube. Das Deck kann sogar so flexibel gebaut werden, dass es nicht einmal auf Necrovalley angewiesen sein muss. Karten wie Grabwächters Abkömmling und Grabwächters Anwerber funktionieren auch ohne die Spielfeldzauberkarte sehr gut. Allerdings würde das Deck dann den großen Vorteil von Royal Tribute einbüßen. Es könnte sein, dass die Zukunft der Grabwächter daher im Splash (z.B. mit Scraps und Flammvells) und nicht im eigenständigen Themendeck liegt. Aber all das muss die Zukunft zeigen.


Einen extragroßen Schneeschieber wünscht,

Nimrod Hellfire




[1]Ersetzt X-Saber durch Six Samurai und ihr habt das aktuelle Japan-Metagame


[2]In Japan wird diese Nische von den Sechs Samurai besetzt. Bei uns wäre insbesondere das Fisch-Deck ein heißer Kandidat für diesen Metagame-Slot. Mich würde es absolut nicht überraschen, wenn wir bei den nächsten großen Turnieren Fische in den Tops sehen.