Bevor jetzt Schreie laut werden, die dagegen protestieren, dass ich das Wort Völkermord benutze, will ich eines anmerken: Vorab habe ich mich mit der Moderation des Off Topics in Verbindung gesetzt und Edi hat mir sowohl diesen Thread, als auch die Verwendung des Begriffs Völkermord erlaubt..
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Eine UN-Konvention definiert Völkermord als Handlungen, in der Absicht begangen, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören". Und unter jeder Liste geschichtlicher Völkermorde taucht der Völkermord an den Armeniern auf - doch die Türkei wehrt sich gegen die Anerkennung des Völkermordes.
Das Thema ist aktueller denn je, aufgrund wachsendem Nationalismus unter Türken. Die Anerkennung des Völkermordes wird als nationale Schande gesehen - eine Frage der nationalen Ehre.
Doch wer denkt, das würde fernab in der Türkei geschehen, der irrt! Schon längst ist Deutschland Schauplatz dieses vermeintlich inneren Konfliktes geworden. Wie Frontal21 in der Sendung vom 25. April 2006 berichtet, sind die Zustände in Köln unfassbar. Schüler türkischer Herkunft sprechen von "jüdisch-amerikanischer Verschwörung", wollen vor dem Unterricht die türkische Hymne singen und den Eid auf die türkische Nation schwören. Und natürlich ist der Westen schuld, wenn etwas in der Türkei nicht stimmt.
Zunächst eine Zusammenfassung der historischen Ereignisse. Ich beschränke mich dabei auf die Vorgänge in den Kriegsjahren 1915 bis 1917 - vorher und nachher fanden ebenfalls Tötungen statt, aber ich behandle erst nur die Ereignisse, die unter den historischen Begriff des Völkermordes an den Armeniern fallen.
Im Ersten Weltkrieg (1914 - 1918) kämpfte das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte - u.a. das Deutsche Reich gehörte zu den Mittelmächten. Auf Seiten der Entente stand neben Frankreich und Großbritannien auch das Russische Reich. Wirtschaftliche und politische Interessen brachten beide Mächte schon vorher aneinander, doch im Zuge des Krieges diesmal ganz extrem.
Die christlichen Armenier, die im Osmanischen Reich nur eingeschränkte Rechte hatten, versprachen sich von einem russischen Sieg Vorteile - beispielsweise einen eigenen Staat mit russischer Sicherheitsgarantie.
1915 scheiterte eine osmanische Offensive gegen das Russische Reich, das sofort zum Gegenschlag ansetzte. Aus Angst, die Armenier könnten sich den Russen anschließen, begannen die Osmanen die armenische Führungsriege zu inhaftieren und zu beseitigen. Ab Mai 1915 wurden dann ganze Bevölkerungsteile der Armenier auf Todesmärsche durch die Wüste geschickt. Dies geschah offiziell im Zuge einer Umsiedlung, aus einem internen Papier geht aber hervor, dass der Befehl auf Vernichtung lautete. Bei diesen Märschen starben zwischen 600.000 und 1.500.000 Menschen.
Diese Geschehnisse sind belegt und nicht objektiv zu leugnen. Neben Fotos und einzelnen Videos gibt es eine Vielzahl von Berichten Überlebender, ebenso Zeugenaussagen von deutschen Offizieren, die als Militärberater in der Türkei aktiv waren. Dennoch versuchen türkische Nationalisten, diesen Völkermord als nie geschehen abzustempeln, oder das Vorgehen als regulären Akt im Rahmen des Krieges darzustellen. Beides ist bei genauer Betrachtung sehr leicht zu enttarnen.
Was aber soll man gegen gekränkte Vaterlandsliebe tun? Oder warum sehen türkische Fanatiker das Eingeständnis einer historischen Verantwortung als Beleidigung? Denn mittlerweile steht das Bekenntnis zur Schuld des Osmanischen Reiches unter Strafe! Der Straftatbestand nennt sich "Herabwürdigung des Türkentums" und wird konsequent verfolgt. Beispielsweise muss sich der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der für sein Engagement mit einem deutschen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, vor Gericht verantworten, weil er öffentlich proklamierte, die Türkei müsse sich ihrer historischen Verantwortung stellen. Im Vergleich dazu, was würde geschehen, wenn hier der Straftatbestand "Herabwürdigung des Deutschtums" in die Rechtsprechung aufgenommen würde? Überall würde man an 1933 erinnern, denn solche Zustände gab es hier nur in schlimmsten Nazi-Zeiten! Die türkische Regierung bricht dafür sogar diplomatische Krisen vom Zaun. 2001 stellte die Französische Nationalversammlung die Leugnung des Völkermordes unter Strafe - die türkische Regierung versuchte das zu verhindern, was in handfesten diplomatischen Schwierigkeiten endete. Mittlerweile sind viele europäische Parlamente nachgezogen. Im Jahre 2002 wollte das Land Brandenburg den Völkermord an den Armeniern auf den Lehrplan setzen, aber der türkische Generalkonsul intervenierte, was dazu führte, dass der Plan zunächst auf Eis gelegt wurde. Nach Protesten in der Bevölkerung wurde der Plan aber wieder aufgenommen. 2000 sollte der Völkermord in Israel unterrichtet werden, aber nachdem die türkische Regierung Druck ausgeübt hat, war davon kaum mehr die Rede.
Schwierig ist die Frage, wie man mit diesem türkischen Staatsbewusstsein umgehen soll. Niemand will die Türkei schlecht reden. Für die Türken gilt dasselbe, was auch für die Deutschen gilt: Die wenigsten aus der türkischen Bevölkerung waren direkt am Massaker beteiligt, es macht ihnen niemand einen persönlichen Vorwurf. Die Opfer verlangen auch keine Entschädigung, nur ein Eingeständnis "ja, es ist geschehen und es tut uns leid, dass unsere Vorfahren das getan haben". Das ernst gemeint, und die Sache wäre erledigt.
Dennoch stellt sich international - und vor allem für europäische Regierungen - die Frage, wie man diesem Verhalten begegnen soll. Akzeptieren kann man dieses Verhalten nicht - vor allem nicht die deutsche Regierung. Andererseits muss man dafür diplomatische Eiszeit mit der Türkei in Kauf nehmen, was aber nur ein kleines Problem sein dürfte - die Türkei kann sich nicht komplett international isolieren. Vor allem mit Blick auf den EU-Beitritt der Türkei stellt sich jetzt die Frage, ob Europa es verantworten kann, ein Land mit derartigen Ansichten in seine Mitte aufzunehmen. Dies ist schließlich nicht der einzige Fall, indem die türkische Regierung aus ideologischen Gründen auf stur stellt - man denke nur daran, dass die Türkei die Republik Zypern noch immer nicht anerkannt hat und nicht gedenkt, das in nächster Zeit zu tun.
Auf jeden Fall sollten weder die UN, die EU, noch einzelne europäische Regierungen hinnehmen, dass die Türkei der momentanen nationalistischen Ideologie treu bleibt. Denn Nationalismus hat in Europa nichts zu suchen!
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Wer sich den Beitrag von Frontal21 vom 25. April über den türkischen Nationalismus ansehen will, der wird [url=http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/5/0,4070,3927653-5,00.html]hier[/url] fündig.